Vom Wunsch, Indianer zu werden
Dutzend Mal im Mund herumwälzen.
May räusperte sich. Und wie ist es, fragte er, mit dem Trinken?
Nach Fletcher, sagte der junge Mann, sollte man nur Milch oder Mineralwasser …
Schon gut, sagte May. Aber nach Fletcher trinken wir ein andermal. Zum heutigen Mittagessen würde ich einen guten Schluck Niersteiner bevorzugen.
Der Steward verschwand und kam wieder. Goldgrün schimmerte der Wein in den Gläsern.
Er habe dem jungen Mann, sagte May, übrigens reinen Wein eingeschenkt.
Reinen Wein?
Ja, meine Identität betreffend.
Unsere
Identität, korrigierte Frau Klara.
Natürlich, Herzle. Ihr Einverständnis habe er vorausgesetzt. Nämlich: Die Sympathie, fast möchte er sagen, die Zuneigung, die er für den jungen Mann empfinde …: Also, was immer es sei, dieses schöne Gefühl …: Er habe den Eindruck gehabt, es komme auch von
ihrer
Seite.
Frau Klara, deren Brust unter der weißen Spitzenbluse heute fast jugendlich atmete, Frau Klara May, früh verwitwete Plöhn, lächelte.
(Die Spur eines Lächelns. Eine Spur monalisisch.)
Zum Wohl denn, Herr Franz. Der Herr Franz schlug die Augen nieder.
Der Mensch hat Wimpern, dachte sie, um die würde ihn so manche Dame beneiden.
Zum Wohl, gnädige Frau. Allerdings, sagte der junge Mann, ich weiß nicht …
Was
wissen Sie schon wieder nicht?
Wie ich auf Ihre Freundlichkeit reagieren soll.
Genießen Sie, sagte Frau Klara, was Sie bekommen.
Gerade das, sagte er, falle ihm manchmal schwer.
Sein Kuraufenthalt in Zuckmantel fiel ihm ein.
Sanatorium & Wasserheilanstalt Dr. Schweinburg, was für ein verfänglicher Name.
Eine Dame mit etwas reiferen Formen.
Wie sie ihn angeschaut hatte. Wie er zurückgeschaut hatte. Eine Schande!
Wie und was er die Nächte hindurch von ihr träumte.
Am hellichten Tag, gnädige Frau, kann man das gar nicht sagen.
In diesem Ambiente von Sauberkeit & Natur.
Ihrer Natur, hatte sie ihm gesagt, können Sie sich getrost hingeben.
Aber sich hinzugeben war nicht sein Fall.
Er solle sich, sagte sie, einfach fallen lassen.
Sie fielen ins Gras. Das Gras stach an den entblößten Körperstellen.
Er fror und genierte sich. In den bewölkten Himmel schauend, wünschte er sich nach Amerika.
Jetzt war er zumindest auf halbem Wege dorthin.
Wo sind Sie, Herr Franz?
Verzeihung, ich bin schon wieder da.
Ganz gegenwärtig, wenn auch auf schwankendem Boden.
Die Bretter, die das Schiff bedeuten, darunter das Wasser, das das Meer bedeutet.
Ich habe dem Herrn Franz, sagte May, also einfach gesagt, wer ich bin.
Wer
wir
sind, verbesserte Klara.
Selbstverständlich, Herzle. Wer
wir
sind.
Die Emanzipationsschübe seiner Frau gingen May zuweilen auf die Nerven. Aber er wollte sich jetzt nicht mit so etwas aufhalten.
Er hatte es nämlich eilig, dem Herrn Franz etwas mitzuteilen. Warum, das wußte er selbst nicht genau, aber es war ihm ein Bedürfnis. Dieser dünne, junge Mensch löste ein Mitteilungsbedürfnis in ihm aus. Ein Selbstdarstellungsbedürfnis. Vielleicht auch ein Rehabilitationsbedürfnis.
Was meinst du, Herzle, sollen wir ihn auch in die Hintergründe unserer Reise einweihen?
Hintergründe? Was denn für Hintergründe?
Herrgott, Klärchen, du weißt doch genau, was gemeint ist!
Herrgott, sie wußte es, aber er sollte es lieber bei sich behalten.
Es gibt Geheimnisse. Auch zwischen älteren Eheleuten. Intime Spiele. Auch auf dem Gebiet der Phantasie. Traumräume, in denen verständnisvolle Partner einander entgegenkommen. Aber die sind für zwei, und darin haben selbst sympathische Dritte nichts zu suchen.
So sah das Klara. Ihr Mann sah das anscheinend anders.
Es ist nämlich keineswegs so, sagte er, daß wir einfach nach Amerika fahren. Das heißt: Natürlich fahren wir nach Amerika, aber nicht aus heiterem Himmel. Wir fahren auch nicht unter irgendeinem Beweiszwang. – Pshaw! wie der Westmann sagt, die Herrschaften, die an der Wahrheit dessen, was der Reiseschriftsteller Karl May geschrieben hat (und somit an ihm selbst) zweifeln! Solchen Herrschaften
braucht
er doch nichts zu beweisen! Die sind es nicht wert. Die sollte er gar nicht beachten. Auf deren Niveau sollte er sich gar nicht mehr herablassen.
Nicht wie damals. Im Jahre ’99.
Seine erste und letzte Orientreise.
Wie er, Tropenhelm auf dem Kopf, unter einem Sonnendach sitzend, nilaufwärts gefahren war. Im Schweiß seines Angesichts Karten und Briefe schreibend.
Sehr geehrte Redaktion, lieber Herr Haupt- & Chefredacteur! Man wird nun endlich zur Kenntnis nehmen
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