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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henisch
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gönnerhaftes Lächeln nicht verkneifen.) Also stellen Sie sich vor, Kollege, Sie erfinden eine Figur. Und dann – ob Sie es glauben oder nicht – tritt diese Figur während einer spiritistischen Séance in Erscheinung!
    Daraus sollten Sie übrigens nicht schließen, daß ich meine Figuren so erfinde oder erfunden habe wie Sie wahrscheinlich die Ihren. Die Figuren, die ich gebracht habe und bringe, haben alle gelebt oder leben und waren respektive
sind
meine Freunde. Oder auch meine Feinde, ja, in den letzten Jahren besonders haben sich viele Feinde dazugeschlagen. Aber gestatten Sie, daß ich mich vorstelle – Sie sind mir so sympathisch, daß ich Ihnen gegenüber eine Ausnahme machen und mein Inkognito lüften will –: Dr. Karl May.
    Unter der Haut des jungen Mannes bereitete sich etwas vor. Ein Kichern, das er nicht ganz unterdrücken konnte. Machen Sie keinen Witz:
Sie
sind Karl May? Entschuldigung, aber den habe ich mir erheblich größer und – Verzeihung – jünger vorgestellt.
    Der ältere Herr neben ihm sah jetzt wirklich sehr alt aus.
    Sie dementieren es nicht? Sie sind es also wirklich? – O Gott! sagte der junge Mann. Was für ein Tolpatsch ich bin! Was habe ich bloß gesagt?! Und was ich gestern erst gesagt habe!
    Der junge Mann war zerknirscht, doch er kämpfte noch immer mit seinem Kichern. Das mischte sich zwischen seine zerknirschten Sätze. Und was ich gestern gesagt habe, meine Güte! Hoffentlich haben Sie das nicht zu ernst genommen!
    Nein, sagte der ältere Herr, nicht
allzu
ernst.
    Es täte mir jedenfalls leid, sagte der Jüngere, wenn ich Sie verletzt hätte.
    Ach was, eine Schramme, glauben Sie mir, ich bin Ärgeres gewohnt!
    Ich heiße übrigens Kafka, sagte der junge Mann, aber ich kann diesen Namen nicht ausstehen.

4
    Schau, Herzle, sagte May, wen ich mitgebracht habe.
    Frau Klara, aus der Sitzgarnitur und ihren Gedanken auftauchend, strahlte verhalten.
    Da stand er ihr also wieder gegenüber.
    Lang dünn blaß linkisch, mit seinen unglücklich angesetzten Ohren, aber (zum Ausgleich) mit diesen erstaunlichen Augen.
    Was Schulbubenhaftes: Mach einen braven Diener!
    Hoffentlich stör ich nicht, gnädige Frau/ Aber woher denn, junger Mann.
    Seine Hand in der ihren: kalt, etwas feucht, gleich wieder auf dem Rückzug.
    Der junge Mann heißt Kafka, aber ich glaube, es ist ihm lieber, wenn wir ihn beim Vornamen nennen.
    Herzlich willkommen also, Herr –
    Franz, sagte er endlich.
    Nach dem heiligen Franziskus?
    Nein, nach dem alten Kaiser.
    Daran, so der junge Mann, sei sein Vater schuld.
    Anscheinend konnte er auch seinen Vornamen nicht leiden.
    Man setzte sich. Aber wie
würden
Sie denn gern heißen?
    Der junge Mann hatte damit zu tun, seine zu langen Beine in eine unauffällige Position zu bringen.
    An den meisten Namen, sagte er, hänge so viel Überflüssiges. Ihm würde ein schlichter Buchstabe völlig genügen.
    Lieber F. oder K.?
    Ganz egal, sagte der Herr Franz.
    Er verschränkte die Arme und versuchte, sich möglichst aufrecht zu halten.
    Meinetwegen auch X. oder Y.!
    Frau Klara fand, daß er einen spröden Charme habe.
    Er habe gedacht, sagte May, es wäre ganz nett, wenn der Herr Franz zum Lunch bliebe.
    Frau Klara fand, das sei eine gute Idee.
    Ich esse nicht viel, beeilte sich der junge Mann klarzustellen.
    Keine falsche Zurückhaltung. Dort unten im Zwischendeck sei er sicher auch kulinarisch nicht allzusehr verwöhnt worden.
    May klingelte nach dem Steward. Der Steward erschien.
    Die Karte lockte mit feinsten Angeboten.
    Der Steward empfahl Lachsfilet à la Russe und Fricandeau de Poulet Provençal.
    Eigentlich, sagte der junge Mann, wäre ihm eine klare Suppe und ein Teller Spinat am allerliebsten.
    Der Steward zog ein indigniertes Gesicht.
    Aber der Herr Franz ist unser spezieller Gast, sagte Frau Klara.
    Den Spinat mit Spiegelei? fragte der Steward.
    Nein, natürlich ohne. – Er bemühe sich nämlich, sagte der junge Mann, alles dem Magen Beschwerliche zu vermeiden.
    Ach ja? sagte May.
    Aus Prinzip, sagte der junge Mann. Es sei einfach schlimm, was die meisten Leute in sich hineinschlängen. Und
wie
sie das täten! Ganz ohne Problembewußtsein! Wenn man es recht bedenke, sei schon das Kauen eine verantwortungsvolle Aufgabe.
    Interessant, sagte May.
    Kennen Sie Fletcher? fragte der Herr Franz.
    Nein, wer ist das?
    Ein amerikanischer Ernährungsexperte. Er hat ein Buch geschrieben. Das
müssen
Sie lesen! Wenn es nach ihm geht, sollte man jeden Bissen mindestens ein

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