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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henisch
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müssen …
    60 bis 70 Briefe und Karten pro Tag.
    … Gehe jetzt nach dem Sudan, dann über Mekka nach Arabien zu meinem Hadschi Halef und mit ihm durch Persien nach Indien.
    Na schön, das Bischari-Lager, sechs Reitstunden von Schellal in Nubien, aus dem er diese Zeilen angeblich geschrieben hatte, lag zwar ein gutes Stück weiter im Süden.
    Aber gewisse Dinge brauchte ein Mann wie er gar nicht mit physischen Augen zu sehen, um darüber schreiben zu können.
    … In meiner Satteltasche steckt etwas gewöhnliches Papier, ein wenig Smagh (Gummiarabicum) zum Zukleben holt mir die Frau des Scheiks aus dem Toilettentopf …
    Ja, vielleicht war es sogar besser, wenn er sich manches, das er mit den Augen der Seele gesehen hatte, nicht durch die Trivialität touristischen Augenscheins verdarb.
    Außerdem tat die Wüste der Bindehaut nicht gut. Das hatte er gleich anläßlich seines ersten Kamelritts feststellen müssen. (Vom M ENAHOUSE in Gizeh über Abusir nach Sakkara, wie der Baedeker empfahl.) Wenn nur etwas weniger Sand oder etwas weniger Wind in der Gegend gewesen wäre!
    Nach einem zweiten Versuch, der seinen empfindlichen Augen kaum besser getan hatte (… von Assuan, Bahnhof, Wüstenweg nach Süden, Telegraphenstangen folgend …), war er wieder umgekehrt. – Egypten ist eine Persönlichkeit, deren Erhabenheit sich nur dem erschließt, der sich nicht mit tausend kleinen und kleinlichen Bildern belastet. Dieses Kleine mag er auf der Rückreise betrachten, wenn das Große in ihm unvergänglich geworden ist. – Also zurück nach Port Said und von dort ein Schiff Richtung Beirut genommen.
    Schon wahr, in einem Brief an seinen Verleger, den er noch kurz vor der Abreise aus Radebeul abgeschickt hatte, hatte er anderes angekündigt. Aber darf ein erwachsener Mann von Siebenundfünfzig seine Pläne nicht ändern? Immerhin mußte er in Beirut wegen Choleraverdachts vierzehn Tage in Quarantäne bleiben. Immerhin, hätte der gute alte Sir David Lindsay gesagt, ein Abenteuer!
    Und/ aber dann, jener Morgen auf der Terrasse eines Hotels in Jerusalem, dessen Namen er vergessen hatte.
    Wie er beim Frühstück gesessen war, fromm entschlossen,
Himmelsgedanken
(endlich Lürik) festzuhalten in einem eigens zu diesem Zweck neu angeschafften Heft. Wie ihm sein mehr oder minder treuer Diener Said Hassan, dieser Sohn der Überflüssigkeit, die wöchentliche Post brachte. Und wie eine Auswahl von Artikeln aus der F RANKFURTER Z EITUNG dabei war, mit einem Begleitbrief seines Freundes Richard Plöhn, aber der tröstete ihn nur wenig.
    Die Leser der F RANKFURTER Z EITUNG sind der kleinen Polemik gefolgt, die sich an dem von uns unternommenen Versuch einer Charakterisierung des Schriftstellers Karl May entzündet hat. Die Frage, ob die Abenteuer des Herrn May persönliche Erlebnisse seien, konnte als dreiste Zumutung an die Leichtgläubigkeit von Kindern oder Idioten ausgeschieden werden. Bleibt lediglich zu erörtern: Hat der Autor die fremden Länder, die er so anschaulich schildert, je betreten? Wir waren und bleiben der Ansicht: Natürlich hat er nicht.
    Was hast du denn, Sihdi, warum ißest du dein Frühstück nicht weiter?
Was
sagst du?
Wie?
Allah verderbe diese Ungläubigen! Du bist Kara Ben Nemsi, ich kann es bezeugen. Wer es nicht glaubt, der kostet meine Nilpferdpeitsche.
    So hätte der treue Hadschi Halef gesprochen.
    Sihdi, was ist dir? Was sitzt du so stumm und starr? – Sag doch was, Sihdi, mach mir doch keine Angst!
    Said servierte einfach das Frühstück ab.
    L LOYD -H OTEL , ja, jetzt fiel es ihm wieder ein. Diese Terrasse mit ihrem Blick auf den Ölberg. Bis gegen Mittag war er dort sitzen geblieben. Dann hatte er sich ins Zimmer zurückgezogen und alles verdunkelt.
    Nein, nicht wie damals. Fast ein Jahrzehnt war seither vergangen. Ein böses Jahrzehnt. Das böseste seines Lebens. Daß es das gab, daß man plötzlich von Feinden umstellt war. Früher hatte er nur über so etwas phantasiert, aber nun hatte er es in der Realität erfahren.
    Weder in der Wüste hatte er diese Erfahrung machen dürfen noch im wilden Kurdistan. Weder zwischen Bagdad und Stambul noch in den Schluchten des Balkan, oder im Land der Skipetaren. Auch nicht drüben, in den endlosen Savannen des Westens oder im großen Felsengebirge. Eingekreist und in die Enge getrieben wurde er in Redaktionen und vor Gerichten im heimatlichen Deutschland.
    Wieder daheim. Er hatte sich sehr verändert. Wieder daheim. Er wollte ganz neu beginnen. Aber ließ man

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