Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henisch
Vom Netzwerk:
unfehlbar! Sagen Sie ja! Sie werden sehen, es rentiert sich!
    Hatte May ja gesagt? Daran konnte er sich später nicht mehr erinnern. Jedenfalls hatte er anscheinend nicht deutlich genug nein gesagt. Gab ein Interview oder beantwortete zumindest eine Reihe raffiniert gestellter Fragen, empfing, bei allem Unbehagen, das er dabei empfand, den Herrn Lebius noch zu mehreren, wie der es nannte, strategischen Besprechungen. Und besann sich erst wieder seines ursprünglichen Impulses, nämlich den Kerl so oder so vor die Tür zu setzen, als der Geld verlangte.
    Das heißt, der verlangte es nicht geradewegs. Die S ACHSENSTIMME , so Lebius einige Wochen später, sei jetzt zu vorteilhaften Bedingungen an ihn allein übergegangen. Er könne also nun schalten und walten, wie er wolle, das sei – der Herr Doktor solle ihn recht verstehen – sicher nicht zum Nachteil Karl Mays. Aber um sich vom Drucker etwas unabhängig zu machen, würde er noch einige tausend Mark Kapital brauchen. Sagen wir drei bis sechs. Auf ein halbes Jahr. Lieber Herr Doktor! Was für ein Doktorat haben Sie eigentlich? Ach so? Sie haben Ihre Doktorwürde nicht an einer deutschen Universität erworben? Ein Darlehen, weiter nichts. Ich würde auch zehn nehmen.
    Er schrieb dann noch einige überaus höfliche Briefe. Mit vorzüglicher Hochachtung. Mit großer Hochachtung und Verehrung. In Verehrung und Dankbarkeit. Und dann schrieb er eine Postkarte, auf der er anonym vor sich selbst warnte. In einem Lokal habe ich gerade gehört, daß ein Herr Levius, Redacteur der S ACHSENSTIMME , eine Campagne gegen Sie plant. Ein dankbarer May-Leser.
    Wie einen das müde macht, wie einen das alt macht, wie einen das krank macht! Wenn einen Gegner, die man sich, weiß der Teufel wodurch, zugezogen, aber bei allen Fehlern, die man begangen haben mag, nicht verdient hat, buchstäblich vernichten wollen. Buchstäblich, ja. Mit Buchstaben in Journalen. Und letzten Endes sogar mit Buchstaben aus alten Gerichtsakten.
    Natürlich hatte er sich immer wieder zu wehren versucht. Als ein Mann der Worte, hatte er gedacht, einer, der zehntausende Seiten mit Buchstaben vollgeschrieben hat, mußte er doch auch oder gerade mit dieser Herausforderung fertigwerden. Das war doch eine Disziplin, in der ihm nicht so leicht jemand gewachsen war, am Schreibtisch war er doch noch immer ein Schnell- und Dauerschütze, der seinesgleichen suchte. Angriff ist die beste Verteidigung, hatte er manchmal gedacht, aber das war vielleicht sein folgenschwerster Irrtum.
    Jetzt jedoch fuhren sie nach Amerika. In aller Stille. Beinahe in aller Heimlichkeit. Keine lange Vorausplanung, keine Bekanntmachung durch den Verlag, keine Artikel (auch nicht in den wenigen ihm noch wohlgesinnten Zeitungen). Inkognito fuhren sie. Auch wenn das schwerfiel. Aber es hatte seine Gründe.
    Dunkle und blutige? – Letztere hoffentlich nicht.
    Obwohl … Was meinst du, sollen wirs ihm erzählen, Herzle?
    Naja, wenn du glaubst, Schätzle. Es ist deine Entscheidung.
    Es schien so, als würde es sich nicht vermeiden lassen.
    Was wir Ihnen hiemit anvertrauen, sagte May, ist ein hochgradiges Geheimnis. Die Mission, in der ich diesmal in den Westen unterwegs bin, ist nämlich
top secret
. Es hängt viel davon ab, daß nur Leute davon erfahren, die es wert sind und schweigen können. Sie sind der erste. Ich hoffe sehr, daß Sie diese Auszeichnung zu schätzen und diese Verantwortung zu tragen wissen.
    Der Herr Franz schluckte. Er fühlte sich sehr unbehaglich.
    Er hatte zwar keine Ahnung, worauf May hinauswollte, aber schon die Art der Ankündigung verursachte ihm Trockenheit im Mund.
    Eine Trockenheit, die ihn dazu veranlaßte, seine guten Vorsätze noch einmal hintanzustellen.
    Er trank und schenkte sich nach. Übrigens schmeckte der Niersteiner wirklich nicht übel.
    Also meine liebe Frau hat, sagte May, das habe ich Ihnen ja schon angedeutet, gewisse mediale Fähigkeiten.
    Das sind, sagte Frau Klara (Bescheidenheit schien ihr gerade auf diesem Gebiet angebracht), das sind keine Fähigkeiten, das ist eine Gabe.
    May: Schon recht, also eine gewisse mediale Gabe hat meine Gattin. Böse Zungen behaupten, sie habe sie benutzt, um meine erste Frau zur Einwilligung in die Scheidung zu bewegen.
    Klara: Aber das ist eine ganz gemeine Verleumdung!
    May: Natürlich. Ich sage es ja auch nur der Kuriosität halber.
    Klara: Abgesehen davon, daß die arme Emma auch ohne mein Zutun schon ziemlich verrückt war. Stellen Sie sich bloß vor, gegen Ende

Weitere Kostenlose Bücher