Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
Mitscherlichschen Kunstnamen übertrug man in der Folge auf alle aus Teer oder Erdöl gewonnenen flüssigen Kohlenwasserstoffe, egal ob aromatisch oder nicht. Die nicht aromatischen heißen aliphatisch. Das Wort kommt vom griechischen aleiphar = »Salbe«. (Das zugehörige Zeitwort »salben« ist dann aleiphein und kommt zum Beispiel in der berühmten Geschichte in der Odyssee vor, wo Odysseus seinen Kameraden die Ohren mit Wachs salbt, damit sie die gefährlich betörenden Gesänge der Sirenen nicht hören können, die er sich, an den Mast des Schiffes gebunden, allein reinzieht …)
Wie sehen die Aliphaten in der Strukturformel aus? Etwa so:
5 Kohlenstoffatome (C) bilden eine Kette, wofür sie je eine ihrer vier Bindungen verbrauchen. Für die beiden am Ende der Kette bleiben dann noch 3 übrig, für die in der Mitte je 2. Diese überschüssigen Bindungen sind mit Wasserstoffatomen belegt (H) – also abgesättigt. Deshalb spricht man auch von einem gesättigten Kohlenwasserstoff: Er enthält so viel Wasserstoffatome, wie überhaupt hineingehen, das sind bei einer Kette immer doppelt so viel wie Kohlenstoffatome plus zwei extra – die links und rechts am Ende der Kette herausschauen.
Manchmal können Sie auch Abbildungen wie die folgende sehen: Hier sind nur die Kohlenstoff- und Wasserstoffatome an den Enden der Kette als C und H gezeichnet, in der Mitte stehen nur vier Striche, die Bindungen zwischen den Kohlenstoffatomen darstellen; wo zwei Bindungsstriche sich treffen, an den »Ecken«, muss man sich ein Kohlenstoffatom denken, ebenso die beiden Wasserstoffatome, die da jeweils noch dranhängen. H 3 C und CH 3 ist übrigens dasselbe, die Methylgruppe.
Pentan heißt so, weil auf griechisch fünf penta heißt. Ist die Kette um ein Kohlenstoffatom länger, heißt das Ding Hexan (von griechisch »sechs« = hexa ) und enthält 14 Wasserstoffatome: zwei mal sechs und zwei extra für die Enden. Ist die Kette um ein weiteres Kohlenstoffatom länger, heißt es Heptan von griechisch hepta = »sieben« … Okay, okay, ich hör auch schon auf; das geht immer so weiter mit griechischen Zahlwörtern und einher mit einer gewissen – nun, sagen wir: Eintönigkeit …
Was ich hier deutlich machen will, ist ein Problem der Chemiedidaktik. Wenn Sie nämlich unsere Kapitelüberschrift »Benzin« im Stichwortverzeichnis eines x-beliebigen Lehrbuchs der organischen Chemie nachschlagen, so finden Sie dieses in den kaum unter tausend Seiten dicken Wälzern merkwürdig weit vorne: Im legendären »Karrer« (8. Auflage, 1942) schon auf Seite 44, im moderneren »Beyer-Walter« (23. Auflage, 1998) auf Seite 91. Alle beginnen ihre Darstellung der Stoffe mit den gesättigten Kohlen wasserstoffen, die im Erdöl enthalten sind. Pentan, Hexan und Heptan sind wichtige Bestandteile des Benzins, wenn auch nicht die einzigen. Neben den gesättigten sind ungesättigte Kohlenwasserstoffe enthalten (die weniger Wasserstoffatome enthalten als möglich, dafür Doppelbindungen in der Kette ausbilden), es gibt verzweigte, ringförmige und aromatische. Alle sind farblose Flüssigkeiten von »leichtbeweglich« bis »ölig«, alle haben irgendwo einen Siedepunkt (je mehr Atome in der Kette, desto höher), alle kommen im Erdöl vor oder lassen sich in großtechnischen Verfahren ineinander umwandeln – und alle besitzen zwei Eigenschaften:
1. Sie brennen gut.
(Und setzen dabei etwa 10
Kilowattstunden Energie frei.)
2. Sie verbreiten lähmende Ödnis
in den Chemiebüchern.
Der ersten Eigenschaft verdankt unsere energiesüchtige Zivilisation ihre Existenz, der zweiten die organische Chemie ihren verheerenden Ruf unter allen Studierenden, die sich ihr nicht aus Hauptinteresse widmen: Mediziner, Biologen, Physiker … Es können leicht dreißig, vierzig Seiten vorüberziehen, bis in den Formeln ein anderes Element auftaucht als Kohlenstoff und Wasserstoff, meistens schüchtern ein Halogen: So nennt man Fluor, Chlor, Brom und Jod, was die Sache allerdings auch noch nicht wirklich spannend macht. Erst wenn der Lebensodem, der Sauerstoff, ins Spiel kommt, fängt die »richtige« Chemie an, mit Alkoholen, Aldehyden, Ketonen, Säuren, Estern und so weiter. Organische Chemie hieß ursprünglich so, weil ihren Gegenstand jene Stoffe bildeten, die aus der belebten Natur hervorgingen, aus Pflanzen und Holz, aus Fleisch und Blut. Sie hervorzubringen, so die Meinung der Naturphilosophen, sei eine vis vitalis nötig, die den anorganischen, toten Stoffen des
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