Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
die fünfte Solvay-Konferenz von 1927, wo die Quantentheorie vorgestellt wurde. Von den neunundzwanzig Teilnehmern (Einstein, Schrödinger, Bohr und so weiter und so fort) hatten oder bekamen siebzehn den Nobelpreis. Und bezahlt wurde das alles mit dem Erlös aus einem weißen Pulver, ohne das es keine Bleichmittel, kein Gerben von Leder, keine Klebstoffe, keine Waschmittel, kein Wasserglas und keine Seife gäbe. Auch das Papier, das Sie gerade in der Hand halten, wurde mit Hilfe der Soda hergestellt – und die große Fensterscheibe, durch die das Tageslicht auf diesen Text fällt, hätte man ohne reine und billige Soda nicht herstellen können. (Und auch nicht den glänzenden braunen Überzug auf den Laugenbrezeln.) Die einfachste Verbindung von verkrustetem Backblech und Quantenmechanik ist, wie eben gezeigt, die Soda; es ist eben »nur ein kleiner Schritt vom Erhabenen « – nein, nicht zum Lächerlichen , das behaupten nur Intellektuelle, die alles Erhabene ablehnen, Leute eben, die keinen rechten Bezug zur wirklichen Welt haben – der kleine Schritt führt vom Erhabenen zum Gewöhnlichen, vom Großen zum Kleinen . Das liegt daran, dass alles mit allem zusammenhängt. Viel enger, als wir glauben wollen.
Und das ist gut so.
Benzin
Benzin ist unter den Substanzen dieses Buches wohl die bekannteste und mengenmäßig dominierende. Es kann leicht sein, dass jemand nicht weiß, was Soda ist oder DDT – beim Benzin schließe ich das aus. Wir leben in einer Benzinwelt, kein Wunder bei über vierzig Millionen Pkws allein in Deutschland, von denen die Mehrheit wie vor hundert Jahren immer noch mit Benzin betrieben wird.
Was lässt sich über Benzin schon sagen? Es ist flüssig, stinkt und brennt gut. Wenn man aber näher hinschaut, fallen doch ein paar Merkwürdigkeiten auf. Zunächst: Jeder weiß, was Benzin ist, aber hat es auch schon jeder gesehen? Ich meine richtig gesehen als Flüssigkeit in messbarer Menge, nicht die paar Pfützen an der Tankstelle … Benzin ist unsichtbar. Man schiebt den Stutzen in die Tanköffnung und drückt den Hebel. Am Ende lässt man den teuren Stoff sorgfältig abtropfen, gekleckert wird (fast) nicht. Und wenn Benzin, aus welchen Gründen auch immer, außerhalb eines Autotanks transportiert werden soll, geschieht das in blickdichten Kanistern und nicht etwa in einer Klarsichtpackung. Von allen Flüssigkeiten, mit denen wir im Alltag umgehen (Wasser, Milch, Spülmittel und so weiter), ist Benzin die einzige, die unseren Blicken entzogen wird.
Das ist auch gut so, wenn wir einen Blick auf bestimmte Stoffdaten von Benzin werfen: Der Flammpunkt eines Stoffes ist die Temperatur, die er mindestens haben muss, damit sich darüber ein zündfähiges Dampf-Luft-Gemisch bildet. Zündfähig heißt, dass mit Funken oder Flamme von außen gezündet wird. Die Zündtemperatur dagegen ist jene, bei der sich ein Stoff an der Luft von selber entzündet, also ohne Hilfe von außen. Der Flammpunkt von Benzin liegt unter -20 Grad, zum Vergleich der von Alkohol (Brennspiritus) immerhin bei +13 Grad; Alkohol muss also deutlich wärmer werden als Benzin, damit man ihn anzünden kann. Die Zündtemperatur von Benzin liegt je nach Sorte zwischen 200 und 410 Grad, die von Alkohol bei 425. Das heißt praktisch, bei allen »normalen« Temperaturen außerhalb des ostsibirischen Winters sollte Benzin nicht in die Nähe der kleinsten offenen Flamme kommen. Sonst brennt’s. Von daher ist verständlich, dass man diesen Saft so gut wie möglich unter Verschluss hält; umso erstaunlicher ist das Vertrauen, das die Behörden in das durchschnittliche Sicherheitsbewusstsein der Normalbevölkerung setzen: Jeder, der will, ob mit Führerschein oder ohne, kann an der Tankstelle Benzin in unglaublichen Mengen zapfen. Versuchen Sie dagegen doch einmal, in einer Drogerie einen Liter Schwefelsäure zu besorgen! Da geht eine inquisitorische Fragerei los: Woher, wohin und warum überhaupt …? Außerdem ist Benzin giftig, das Einatmen der Dämpfe führt zum Tod. Stellen wir uns vor, Benzin würde erst heute in das alltägliche Leben eingeführt: Dann gäbe es einen »Erlaubnisschein« oder etwas Ähnliches; ein Papier, aus dem hervor geht, dass man einen obligatorischen zweiwöchigen Kurs zum »Umgang mit leichten Kohlenwasserstoffen« absolviert hat. Mit Prüfung, praktisch und theoretisch. Ja, ich weiß, Sie können Wundbenzin ohne Weiteres in der Apotheke kaufen; in kleinen Fläschchen. Aber was glauben Sie, was die Ihnen
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