Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
als ebensolches zu vermarkten, was noch höhere Gewinne versprach als die Patentmedizin.
Das Feld war bereitet, »Colonel Drake« konnte den Schauplatz betreten. Er war nie Oberst einer Armee gewesen, der Titel war ein Einfall seines Chefs, des Bankiers James Townsend, um die hundertfünfundzwanzig Einwohner des erst fünfzig Jahre zuvor gegründeten Örtchens Titusville zu beeindrucken. Er hatte mit Partnern die Pennsylvania Rock Oil Company of New York gegründet. Was Mister Townsend veranlasst hat, Mister Drake als Bohrungsleiter für tausend Dollar Jahresgehalt anzustellen, ist ein bisschen unklar; Drake hatte nie eine Schule besucht, es aber nach Abstechern in verschiedene Berufe zum Zugführer bei der Eisenbahn gebracht (laut anderen Quellen war er einfach Schaffner).
Zunächst versuchte er es auf die einfache Tour und ließ einen Schacht ausheben, auf dessen Grund sich das Öl sammeln sollte. Dort sammelte sich, als der Schacht schon zehn Meter tief war, nur Wasser. Also musste gebohrt werden. Zur Anwendung kam das von den Solebohrungen bekannte Seilschlagverfahren. An einem langen Seil hängt das aus Meißel und Schwerstange bestehende Bohrgerät, das man von einer Dampfmaschine periodisch hochheben und dann wieder ins Bohrloch niedersausen lässt. Der Meißel zertrümmert das Gestein an der Bohrsohle. Dass regelmäßig mit einer Schlammbüchse das zerkleinerte Material heraufgehieft werden muss (wieder mit einem Seil) und in der Zeit der Bohrbetrieb stillsteht, wird in historischen Rückblicken gern verschwiegen. So erklärt sich aber der absurd langsame Bohrfortschritt: Unter günstigsten Bedingungen drei Fuß pro Tag, das heißt einen knappen Meter.
Als das Öl schließlich floss, entstand ein Boom wie vorher beim kalifornischen Gold. Drei Monate später hatte Titusville neuntausend Einwohner, Ölbohrer, Glücksritter, Spekulanten und Begleitpersonal. Es gab 19 produzierende Bohrungen. In ganz Pennsylvania wurden 1859 2000 Barrel Öl gefördert, 1860 waren es schon 500000 und 1862 bereits 3 Millionen. Zehn Jahre später produzierten 250 Raffinerien in den USA 5 Millionen Barrel Öl pro Jahr, das waren 90 Prozent des Weltölverbrauchs – und sind heute der Weltverbrauch von eineinhalb Stunden.
Drake wurde reich, verlor aber alles. Wo? Natürlich an der Wall Street – mit Ölspekulationen. Der Staat Pennsylvania setzte ihm eine Pension aus, er starb 1880. Edwin Laurentine Drake hat nichts erfunden und nichts getan, was nicht andere schon vor ihm getan hatten. Er war kein Ingenieur und hat nie selber Hand angelegt, das konnte er auch gar nicht, saß er doch wegen seines schweren Rheumas die meiste Zeit im Rollstuhl. Aber er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Er hat nach Öl gebohrt. Und welches gefunden. Manchmal genügt das für die Unsterblichkeit.
Was an Benzin noch interessant ist? Die Oktanzahl. Der Name kommt von octo , lat. »acht«, und bezieht sich auf den gesättigten Kohlenwasserstoff mit 8 Kohlenstoffatomen. Gemeint ist allerdings nicht das gewöhnliche Oktan, sondern die früher Isooktan genannte Variante, heute korrekterweise als 2,2,4 Trimethylpentan bezeichnet. Ausschauen tut sie so:
Wir erkennen 5 Methylgruppen . Aber wieso steht dann da etwas von Trimethylpentan? Wenn Sie die oberen drei mit dem Finger abdecken, steht da die zweite Pentanformel von Seite 78, 3 Methylgruppen ersetzen 3 Wasserstoffatome von den insgesamt 6 Wasserstoffatomen, die beim Pentan an den inneren Kohlenstoffatomen hängen; die sind hier wieder nicht ausgezeichnet, sondern nur durch die Stellen markiert, wo die Bindungsstriche zusammenlaufen, das Bild würde sonst total unübersichtlich. Der Ausdruck »verzweigt« erklärt sich durch die Darstellung wohl von selbst. Diese merkwürdige Substanz hat die Oktanzahl 100. Was es damit auf sich hat, war zumindest dem Autofahrer früher leichter zu erklären als heute. Im »Noller« von 1960, einem Lehrbuch der organischen Chemie, findet sich im Erdölkapitel der Satz: »Jedermann kennt das Klopfen des Benzinmotors, das auftritt, wenn man im Automobil lange Steigungen zu überwinden hat oder wenn man versucht, einen Wagen zu schnell zu beschleunigen.« Heute darf man davon ausgehen, dass nicht jedermann, sondern niemand mehr diese merkwürdige Erscheinung kennt. Ihre Ursache lag in der Bauweise des völlig zu Recht so heißenden Explosionsmotors : Eine Mischung aus fein verteiltem Benzin und Luft wird in den Zylinder gesaugt, verdichtet und durch die Zündkerze
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