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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Das war der erste Schritt einer intensiven Forschungstätigkeit, an der sich neben Engländern auch ganze Heerscharen amerikanischer Chemiker und Biologen beteiligten. Schon die Isolierung der Substanz war eine aufreibende und komplizierte Angelegenheit, erst recht ihre Strukturaufklärung. Die war nötig, weil man natürlich hoffte, einen Syntheseweg zu finden, der einfacher zu beschreiten war, als Nährlösung in keimfrei gemachten großvolumigen Edelstahlbehältern mit Penicillium chrysogenum »verschimmeln« zu lassen und nachher das Produkt mühselig aus der Pilzbrühe zu extrahieren. Aus dem Traum wurde nichts. Penicillin wird nach wie vor biotechnologisch hergestellt. Das ist viel billiger. Es gibt heute allerdings zahlreiche halbsynthetische Formen, in denen an das Naturpenicillin andere Seitenketten angefügt sind. Dazu lässt man den Pilz das »Urpenicillin« (Penicillin G) erzeugen, spaltet mit speziellen Enzymen den linken oberen Rest in der Eingangsformel ab und hängt dann wieder andere Seitenketten an. Der Grund für diese umständliche Vorgehensweise liegt in der Struktur des Moleküls. Sieht man genauer hin, bemerkt man nämlich, dass drei Kohlenstoffatome in den Ringen eine Besonderheit zeigen: Die beiden oberen Ecken des Quadrats und die unterste Spitze des Fünfecks. An jedem der drei hängen je vier verschiedene »Reste« – der Unterschied wird deutlich, wenn man das mit dem Kohlenstoffatom vergleicht, das im Fünfer-Ring am weitesten rechts steht; an dem hängen zwei Methylgruppen (-CH 3 ), also nicht vier verschiedene Reste, sondern nur drei: Die beiden Methylgruppen sind nicht voneinander »verschieden«! Was hat es damit auf sich? Wenn in einem Molekül an einem Kohlenstoffatom vier verschiedene Reste hängen, dann gibt es davon zwei Formen, die sich zueinander verhalten wie Bild und Spiegelbild. Man spricht von Chiralität , wörtlich »Händigkeit«, weil die geometrischen Verhältnisse genau so sind wie bei rechter und linker Hand. Bei Molekülen, die in der Natur vorkommen, ist in den meisten Fällen eine dieser beiden Formen bevorzugt; Probleme entstehen, wenn die andere Form dem Organismus zugefügt wird; die Moleküle, die mit der Form regieren sollen, sind nur für die eine Form geeignet, sie passen so, wie zum Beispiel ein linker Handschuh nur auf eine linke Hand passt. Beim falschen Handschuh ist das nicht weiter tragisch, in der Biochemie aber fatal, wenn die falsche Hand mit dem richtigen Handschuh »reagieren« soll. Im harmlosesten Fall passiert – nix: Der Handschuh wird halt nicht angezogen, in ernsteren Fällen ergeben sich daraus biochemische Verwicklungen, die zu einem Schaden für den Organismus führen.
    Das bekannteste Beispiel einer optisch aktiven Verbindung dürfte die berühmte Milchsäure im Joghurt sein:

    Auch sie hat ein sogenanntes asymmetrisches Kohlenstoffatom, eben eines, an dem vier verschiedene Reste hängen: eine H 3 C-Gruppe (Methylgruppe), eine OH-Gruppe (Hydroxylgruppe), eine COOH-Gruppe (Säuregruppe) – und ein Wasserstoffatom, das der Übersichtlichkeit halber in der Zeichnung weggelassen ist. Die durchgezogenen Linien sind die Bindungen zwischen den Atomen, sie liegen sozusagen »flach« in der Papierebene des Buches, die gestrichelte Bindung zur OH-Gruppe im linken Bild geht schräg nach unten »ins Papier hinein«, die fett gezeichnete Linie im rechten Bild ragt ebenfalls schräg nach unten – aber »aus dem Papier heraus«. Die beiden Moleküle sind Spiegelbilder. In verschiedenen Organen und im Fleischsaft kommt nur die rechts gezeichnete Form vor, die L-Milchsäure, sie heißt deshalb auch »Fleischmilchsäure«. Bei der Vergärung von Milch zur Joghurtherstellung entsteht ein Gemisch von D- und L-Form, das Gemisch nennt man »Gärungsmilchsäure«. Durch die intensive Joghurtreklame der vergangenen Jahrzehnte sind »linksdrehend« und »rechtsdrehend« in den Sprachschatz der Allgemeinheit übergegangen, wobei sich kaum ein Konsument im Klaren darüber ist, was da eigentlich gedreht wird: die Ebene des polarisierten Lichtes, wenn man dieses Licht durch eine Probe der Milchsäure hindurchschickt. Was bedeutet links- und rechtsdrehend für die Joghurtesserin? Überhaupt nichts! Die Begriffe beziehen sich auf eine Labormethode zur Unterscheidung der beiden Formen, der normale Verbraucher kann das Ganze getrost vergessen, bei ihm wird nichts gedreht. Polarisation ist ein Begriff aus der Physik des Lichtes, mit dessen bildhafter Erklärung man

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