Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
ein inneres Peptid, das heißt, die Säuregruppe einer Aminosäure reagiert nicht mit der Aminogruppe einer anderen Aminosäure, sondern mit der eigenen, die dazu ein bisschen weiter hinten stehen muss als üblich, man nennt das Beta-Stellung. Das ist wie bei der mythischen Schlange »Ouroboros«, die sich in den Schwanz beißt – damit das überhaupt geht, braucht die Schlange eine Mindestlänge; wenn die Schwanzspitze schon am Kopf ansetzt, kriegt die Schlange keinen Ring zusammen.
Bakterien besitzen nun Enzyme, die diesen Viererring aufspalten, bevor er dem eigenen Hüllenbauenzym gefährlich werden kann. Das Zerstörungs-Tool selber wird kaputt gemacht. Genau das scheint momentan in meinen Mandeln zu passieren: Nach den ersten zehn Gramm »Penicillin V« ging die Entzündung zurück, aber trotz weiterer Einnahme meldete sie sich wieder, die Bakterien, die ich mir da aufgelesen habe, sind gegen diesen Typ Penicillin resistent . Ich muss mir was anderes überlegen …
Zwischenfrage: Was gehen uns Menschen eigentlich diese mikrobiologischen Händel an? Schließlich sind wir weder Bakterien noch Pilze. Genau: Wir sind nur biochemische Trittbrettfahrer, Nutznießer einer chemischen Kriegsführung der Pilze, die uns selber nicht schaden kann. Wären wir mit Bakterien näher verwandt, könnten wir kein Penicillin gebrauchen, es wäre giftig für uns. Aber unsere eigenen Zellwände sind ganz anders aufgebaut als die der Bakterien, die Blockierung des Mauerbauenzyms stört uns nicht. Dass Penicilline aufgrund anderer Interaktionen mit dem menschlichen Organismus zu Problemen führen können, sei nicht verschwiegen, da gibt es alles Mögliche, von der schlichten Giftwirkung bis zur Auslösung von Allergien. Der Boom der Naturheilverfahren ist auch vor diesem Hintergrund zu sehen. In bestimmten Kreisen hat sich der Name Penicillin sogar zu einem Synonym für »Chemiegift« gewandelt. Dieser merkwürdige Meinungsumschwung innerhalb weniger Jahrzehnte ist allerdings vor dem historischen Hintergrund zu sehen, dass in ebendiesen Jahrzehnten Infektionskrankheiten ihre Schrecken verloren haben, wie man das oft lesen kann. Gemeint ist: Es gibt sie nach wie vor, aber man stirbt nicht mehr so oft dran; man nimmt ein paar Tabletten und es ist gut. Das stimmt ja auch sehr oft.
Der Mensch neigt zur Verdrängung unangenehmer Tatsachen – eine der unangenehmsten war sicher die hohe Sterblichkeit durch Bakterien bis ins 20. Jahrhundert hinein. Man sieht das leicht an den Todesursachen historischer Persönlichkeiten. Nehmen wir nur die merkwürdige Häufung des Satzes »starb in geistiger Umnachtung« in Biografien. Was war das? Alzheimer? Dazu waren die in aller Regel viel zu jung – nein, es war eine Spätfolge der Syphilis. Nur ein Beispiel: der Komponist Gaetano Donizetti. Bei Heinrich Heine schlug die Syphilis nicht aufs Hirn, sondern aufs Rückenmark. Ausgelöst war beides durch eine Mikrobe. Eine andere, pasteurella pestis , hat im 14. Jahrhundert ein Drittel der europäischen Bevölkerung ausgelöscht. Man starb auch außerhalb von Seuchenzügen an Krankheiten, deren Spätstadien auch heutige Mediziner vor diagnostische Probleme stellen würden, weil sie die in ihrer Ausbildung buchstäblich nie gesehen haben! Soll heißen: Heute lässt man es gar nicht zu einem Spätstadium kommen; es wird das geeignete Antibiotikum verabreicht – und fertig. Beispiel: Wolfgang Amadeé Mozart. Der wurde nicht durch Salieri vergiftet, sondern starb am rheumatischen Fieber mit Symptomen, die man heute nicht mehr zulässt. Eine einzige Penicillinspritze hätte ihn von der Kante zurückgerissen … Gegenprobe: Welcher berühmte Mensch starb damals an Krebs? Da gibt es auch welche, aber spontan fällt mir nur die englische Königin Maria I. Tudor ein, die Tochter Heinrichs VIII. Sie starb 1558 an Eierstockkrebs.
Der Tod durch Infektionen war alltäglich, jeder Krieg forderte bis ins späte 19. Jahrhundert das Vielfache an Todesopfern durch Infektionskrankheiten als durch militärische Einwirkung.
Wer hat das Penicillin entdeckt? Der Schotte Alexander Fleming. Er selbst verwendete die Vokabel »Entdeckung« nur ungern. In einer Rede in Paris sagte er 1945, »… ich wurde bezichtigt, das Penicillin erfunden zu haben. Erfinden ließ sich das Penicillin von keinem Menschen, denn es wurde vor urdenklichen Zeiten von einem gewissen Schimmelpilz hervorgebracht …« Schottisches Understatement. Darauf ist vielleicht auch zurückzuführen, dass
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