Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
jetzt Zeilen schinden könnte, was aber vom Wesentlichen wegführen würde: Polarisiertes Licht reagiert auf geometrische Unterschiede im Bauplan der Moleküle; um die Chemie zu erklären, ist diese »Drehung« ein unglücklich gewählter Begriff.
Tatsache ist, dass die L-Form vom Körper leichter abgebaut wird als die D-Form. Ob sie nun deswegen gleich als »gesünder« zu bezeichnen ist, darf hinterfragt werden – vor allem im Lande der Sauerkrautesser, die seit Jahrhunderten mit jedem Gramm »L« dieselbe Menge »D« aufgenommen haben: Auch das saure Kraut verdankt seine Säure der Milchsäuregärung, bei der, wie erwähnt, die beiden Formen im Verhältnis 1:1 entstehen …
Wie dem auch sei, beim Penicillin ist die Sache leider sehr klar. Es hat nicht 1 asymmetrisches Atom im Molekül, sondern 3. Infolgedessen gibt es davon nicht 2 verschiedene Formen, sondern 2 mal 2 mal 2 = 8! Der penicillium -Schimmelpilz stellt von diesen 8 wohlweislich nur eine einzige Form her, nämlich die eingangs abgebildete. Weil die anderen 7 gegen Bakterien komplett unwirksam sind! Wenn ich also mit Labormethoden nur die eine wirksame Form herstellen will (man spricht dann von stereoselektiver Synthese), wäre das Ganze so aufwendig und das Endprodukt so teuer, dass man es nicht einmal mit Gold aufwiegen könnte. Es ist also besser, dem Pilz die Arbeit zu überlassen, der die richtige Form ganz von selber erzeugt!
In den Vierzigerjahren steigerten die USA die Penicillinproduktion unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft innerhalb kurzer Zeit auf solche Höhen, dass sie ihr gesamtes Militärpersonal ausreichend mit dem lebensrettenden Wirkstoff versorgen konnten. Für Zivilpersonen gab es auch lange nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch zu wenig Penicillin; der Schwarzhandel mit der Substanz war in Europa weit verbreitet. Der Film »Der dritte Mann« spielt vor diesem Hintergrund.
Im Dezember 1945 erhielten Fleming, Florey und Chain zusammen den Nobelpreis für Medizin (jeder ein Drittel). Zu jener Zeit, als an eine allgemeine Verfügbarkeit noch gar nicht zu denken war, machte Fleming in seiner Nobelpreisrede in geradezu prophetischer Weise auf eine bestimmte Gefahr aufmerksam:
»Es mag die Zeit kommen, da Penicillin von jedermann im Laden gekauft werden kann. Dann wird es aber auch die Gefahr geben, dass der unwissende Jedermann leicht unterdosiert, seine Mikroben einer nicht tödlichen Dosis aussetzt – und sie resistent macht. Hier ein hypothetisches Beispiel: Mr. X hat einen rauen Hals. Er kauft ein bisschen Penicillin, behandelt sich selbst, nimmt aber nicht genug, die Streptokokken abzutöten, aber genug, um ihnen gleichsam beizubringen, wie sie dem Penicillin widerstehen können. Dann steckt er seine Frau an. Mrs. X kriegt eine Lungenentzündung und wird mit Penicillin behandelt. Weil die Streptokokken jetzt resistent gegen Penicillin sind, schlägt die Behandlung fehl. Mrs. X stirbt. Wer ist jetzt im Grunde verantwortlich für den Tod von Mrs. X? Nun, Mr. X, dessen nachlässiger Gebrauch von Penicillin die Natur der Mikrobe verändert hat. Die Moral der Geschichte: Wenn du Penicillin nimmst, nimm genug!«
Wie wahr, Sir Alexander!
Dabei konnte er nur die normale Verbraucherdummheit ansprechen, noch nicht die viel größere Dummheit, Antibiotika als Masthilfsmittel in der Tierzucht einzusetzen! Die Rede Flemings ist im Internet nachzulesen und ein Musterbeispiel klarer angelsächsischer Wissenschaftsprosa, das heißt, auch für den interessierten Laien verständlich.
Woher die Bakterien in meinen Mandeln ihre Resistenz haben, weiß ich nicht, jedenfalls waren sie auch nach Einnahme von (dreißig!) Gramm »Penicillin V« noch nicht niedergekämpft – das gelang erst einem anderen Antibiotikum, das nicht der Penicillin-Familie angehört.Glück gehabt, oder?
Was wäre denn, wenn … Den Satz kann jeder selber zu Ende denken. Es ist beunruhigend, hier, mitten im reichen Westen, mit der relativen Unwirksamkeit von Substanzen konfrontiert zu sein, die konstitutiver für die Zeit sind als alles andere: Denn was ist die Moderne? Die Epoche, in der Gesichter gleichzeitig von vorn und von der Seite gemalt werden? In der achthundert Meter hohe Häuser gebaut werden? In der alle blaue Hosen anhaben und eine braune Limonade trinken? – Alles schön und gut. Aber eher ist die Moderne doch die Epoche, in der man nicht mehr an einem rostigen Nagel stirbt. Oder weil man sich beim Rasieren geschnitten hat. Oder an Diphtherie. Oder
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