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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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fertig. Das ganze von den Ringen nach allen Seiten abstehende Zeug, diese Methylgruppen (-CH 3 ), die Säuregruppe (-COOH rechts unten), war schon in den Ausgangssubstanzen vorhanden. Das Vorkommen von Aminosäuren kann nicht überraschen: Es gibt zweiundzwanzig verschiedene Aminosäuren, aus denen sich die Proteine aufbauen – und Proteine sind gleichsam der Stoff des Lebendigen an sich, sein Fleisch und Blut. Aufbauen ist auch ein großes Wort, das zu falschen Vorstellungen führt. Jedes dieser Moleküle verfügt über zwei reaktive Gruppen, eine Säuregruppe -COOH und eine Aminogruppe -NH 2 . Aufbau heißt jetzt nur: Die Säuregruppe der einen Aminosäure reagiert mit der Aminogruppe der anderen, sodass ein Gebilde dieser Struktur entsteht: -CO-NH-. Ein Sauerstoffatom und zwei Wasserstoffatome sind dabei offensichtlich ausgeschlossen worden. In Form von – richtig! – Wasser: H 2 O. Auf einem Planeten, dessen Oberfläche zu 70 Prozent von einem durchschnittlich 3700 Meter tiefen Wasserozean bedeckt ist, darf es nicht verwundern, dass die elementaren Reaktionen alle irgendwie mit Wasser zu tun haben: Sie spielen sich in »wässriger« Umgebung ab, spalten Wasser ab oder lagern welches an; Wasser gilt Planetenforschern nicht umsonst als Grundbedingung für Leben. Leben auf ganz anderer Grundlage, über das in der Science-Fiction schon immer munter spekuliert wurde, darf man getrost vergessen; die Chemie und die vorhandene Zeit beschränkt die Evolution aufs wässrige Milieu.
    Cystein und Valin reagieren nicht auf die übliche Art miteinander, sondern ein bisschen komplizierter, was uns hier nicht zu interessieren braucht. Das Ergebnis ist ein beeindruckendes Ringsystem mit ganz spezieller Wirkung auf den Stoffwechsel von Bakterien. Die sind von einer speziellen Schutzhülle aus Peptidoglycanen umgeben, eine Art Kompositwerkstoff aus modifizierten Zuckern und kurzen Aminosäurenketten; man kann das in etwa mit glasfaserverstärktem Kunststoff für Bootskörper vergleichen (oder mit der Trabi-Karosserie …) Diese Hülle muss ziemlich stabil sein, weil im Inneren des Bakteriums ein osmotischer Druck herrscht – der kommt dadurch zustande, dass kleine Moleküle wie Wasser in beide Richtungen durch die Hülle wandern können, größere aber nicht. Da alles in der Natur auf einen Zustand niedrigster Energie zustrebt, im Inneren der Bakterienzelle aber ein ziemliches Gedränge an großen Molekülen herrscht, strömt von außen Wasser zu, um den dicken Inhalt zu verdünnen, dadurch steigt im Inneren der Druck. In der uns sichtbaren Welt kann man an reifen Kirschen sehen, was passiert, wenn eine Hülle den osmotischen Druck dabei nicht aushält: Regnet es auf reife Kirschen, dann dringt so viel Wasser ins Innere, um die Zuckerlösung im Inneren zu verdünnen, dass die Schale der Frucht platzen kann!
    Das ist alles schön und gut, die Peptidoglycane halten den Druck problemlos aus, ein Problem entsteht nur, wenn das Bakterium sich vermehrt. Dazu muss es sich teilen. Dazu wiederum ist es nötig, die schöne Hülle aufzumachen und zu erweitern. Das Bakterium verwendet dazu bestimmte Enzyme. Im Prinzip sind das Eiweißklumpen aus vielen hundert Aminosäuren, funktional darf man sich aber durchaus Spezialwerkzeuge vorstellen, Schraubenzieher zum Beispiel. Mit einem ganz bestimmten dieser Enzyme reagiert nun unser Penicillin: Es öffnet den Viererring (den linken in der Formel) und heftet sich an entscheidender Stelle an das Enzym. Und zwar irreversibel. Das ist etwa so, als hätte man einen Kreuzschlitz-Schraubenzieher vorne mit schnell härtendem Kunstharz beschmiert – das Werkzeug wird dadurch wertlos. Penicillin wirkt also nur, wenn Bakterien sich teilen (wie eben grade die in meinen Mandeln): Ein wichtiges Werkzeug fällt aus, die Zellwand ist aber schon offen und kann nicht mehr geschlossen werden. Man kann sich das als tödliche Wunde vorstellen. Das Bakterium stirbt ab. Auf Bakterien, die sich nicht teilen, hat Penicillin keinen Einfluss.
    Den Bakterien war diese vermaledeite Substanz schon länger negativ aufgefallen, eine Milliarde Jahre vielleicht, sodass schon zu einer Zeit, als kein Biologielaie auf der wüsten Erde irgendetwas Lebendiges entdeckt hätte, die chemische Evolution die Bakterien mit einer heute noch wirksamen Waffe zur Verteidigung ausstattete: den Beta-Lactamasen . Der entscheidende Bauteil beim Penicillin ist nämlich der Viererring, der chemisch auch Betalactamring genannt wird. Ein Lactam ist

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