Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
Schriftzeichen stehen also quasi auf einem Weinetikett. Wein muss in Ägypten sehr populär geworden sein, wie eine Textstelle aus dem Alten Reich beweist. Ein Erzieher schreibt an seinen Zögling: »Man hat dich oben auf der Mauer kriechen sehen, nachdem du ein Lattengitter zerstört hast. Alle flohen vor dir, aus Angst vor deiner Wut. Könntest du nur verstehen, wie abscheulich der Wein ist!« Jugendlicher Vandalismus und aggressives Verhalten durch Alkohol: hat Tradition über einige tausend Jahre. Die erste Erwähnung eines Weinbergs in der Bibel steht schon im ersten Buch Mose, Kapitel 9, Vers 20: »Noah aber fing an und ward ein Ackermann und pflanzte Weinberge.« Das war gleich nach der Sintflut, gewissermaßen das Erste, was er nach dem Verlassen der Arche unternahm. Der biblische Autor redet dann auch nicht lang um den heißen Brei herum, gleich im nächsten Vers, dem mit der Nummer 21, erfährt man, wohin das führt mit der Weinbergpflanzerei: »Und da er von dem Wein trank, ward er trunken und lag in der Hütte aufgedeckt.« Die Juden des Alten Testaments reagierten sehr empfindlich auf dieses »Aufgedecktsein«, noch empfindlicher aber reagierte Noah, als er endlich seinen Rausch ausgeschlafen hatte: Sein jüngster Sohn Ham hatte ihn nämlich so liegen gesehen »… sah seines Vaters Blöße …« und es den beiden anderen Brüdern Sem und Japheth erzählt. Woraufhin diese ein »Kleid« aufnehmen, sich über die Schultern legen und rückwärts in die Hütte gehen und mit abgewandtem Gesicht den Vater zudecken, »… dass sie ihres Vaters Blöße nicht sahen«, eine Szene, die nicht eines gewissen Slapstick-Potenzials entbehrt … Noah erfährt alles, hat eine Saulaune und verflucht nun seltsamerweise nicht den Sohn Ham, der seine Blöße gesehen hat, sondern dessen Sohn Kanaan. Das Ganze wäre zum Lachen, wenn nicht die sklavenhaltenden und bibelfesten Amerikaner mit diesem Fluch »… und sei ein Knecht aller Knechte unter seinen Brüdern!« – die Versklavung der Schwarzafrikaner theologisch gerechtfertigt hätten.
Wie auch immer: Die Zitate aus dem alten Ägypten und aus der Bibel zeigen schon, dass vom Alkohol nichts Gutes kommt, der Missbrauch ist dem Stoff von Anfang an eingeschrieben. Mangels Lattenzäunen werden heute eben Autoantennen abgebrochen, das »Herumkriechen auf Mauern« hat seine Entsprechung in waghalsigen Kletterpartien: Baukräne, Balkone und so weiter. Und auch heute »fliehen alle aus Angst« vor Angetrunkenen. Was schließlich Noah beisteuert, ist das unsittliche Verhalten unter Alkoholeinfluss. Unheimlich: Sprache, Sitten und Gebräuche, Weltbild und Religion mögen die Menschenkinder voneinander trennen, dazu noch ein paar Tausend Jahre – aber im Rausch sind sie vereint und machen alles Verbotene, vom Blödsinn bis zum Verbrechen. Der Rausch als anthropologische Klammer, so scheint es.
Die Bibel hat zum Alkohol eine ambivalente Haltung, wenn man sich die über siebzig Stellen anschaut, wo vom Wein die Rede ist. Am massivsten antialkoholisch argumentiert das »Buch der Sprüche« (23,29), wo es heißt: »Wo ist Weh? Wo ist Leid? Wo ist Zank? Wo ist Klagen? Wo sind Wunden ohne Ursache? Wo sind trübe Augen? – Wo man beim Wein liegt und kommt, auszusaufen, was eingeschenkt ist. Siehe den Wein nicht an, dass er so rot ist und im Glase so schön steht. Er geht glatt ein; aber darnach beißt er wie eine Schlange und stickt wie eine Otter. So werden deine Augen nach anderen Weibern sehen und dein Herz wird verkehrte Dinge reden.« Die »Dritte Sammlung«, aus der das Zitat stammt, gilt heute als älteste und geht wahrscheinlich auf die Zeit König Hiskias zurück, damit wären die Aussagen über den Alkohol 2800 Jahre alt. Sie sind von geradezu bestürzender Aktualität; nirgendwo zeigt sich die Konstanz des Menschenwesens so klar wie im Rausch.
Im Neuen Testament werden die Äußerungen über Alkohol dann freundlicher. Jesus verwendet oft den Weinberg als Symbolort in Gleichnissen, der Wein selbst kommt nur siebzehn Mal vor, davon allein vier Mal in der berühmten Geschichte von der Hochzeit zu Kana (Joh. 2,3), wo Jesus Wasser in Wein verwandelt. Es ist das erste Wunder überhaupt. Es geht da um sechs steinerne Wasserkrüge, jeder fasst »zwei bis drei Maß« – nimmt man das griechische metrétes mit 40 Liter an und davon den Mittelwert (2,5), dann fasste jeder Krug rund 100 Liter. Das Wunder besteht dann in der Umwandlung von 6 Hektoliter Wasser in Qualitätswein, wundert
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