Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
Einfachbindung war. Das Ergebnis sieht etwa so aus:
Die vielen Wasserstoffatome wurden hier weggelassen. Offenbar gibt es zwei Formen des famosen Kautschuks, eine cis- und eine trans-Form . Naturkautschuk besteht zu über 99 Prozent aus der cis-Form, die trans-Form bildet das sogenannte Guttapercha, der eingetrocknete Milchsaft des in Malaysia heimischen Guttaperchabaumes. Seine Kettenmoleküle sind deutlich kürzer als die des Kautschuks, es ist weniger elastisch, wird aber bei 50 Grad weich. Guttapercha war für das 19. Jahrhundert ungefähr das, was für uns Plastik ist. Die Transatlantik-Telegraphenkabel wurden mit Guttapercha umhüllt, auch Elektroleitungen, da es ein guter Isolator ist. Heute hat seine Bedeutung wegen der Kunststoffe stark abgenommen.
Die wichtigste Eigenschaft des Kautschuks ist die Elastizität. Wie kommt die zustande? Das obige Bild mit der geraden Kette ist eine Idealisierung; in Wirklichkeit bilden diese Riesenmoleküle wild ineinander verschlungene Fadenknäuel. Manche der vielen Doppelbindungen in der Kette gehen auf und reagieren mit einem anderen Fadenmolekül. Wenn ich jetzt das Ganze Bündel auseinanderziehe, können die einzelnen Fäden nicht mehr so aneinander vorbeigleiten, wie das ohne Quervernetzung möglich wäre. Ich muss eine bestimmte Kraft aufwenden, um die Ketten leicht zu strecken. Lass ich los, führt die Wärmebewegung dazu, dass die einzelnen Fadenmoleküle wieder die ursprüngliche, ungeordnete Form annehmen: Elastizität! Besonders stark ist sie allerdings nicht ausgeprägt, dementsprechend versuchten schon die Völker Mittelamerikas, den Rohkautschuk durch Räuchern und Pflanzensäfte zu behandeln, um die Elastizität der Vollgummibälle zu erhöhen – sonst gab es keine Spannung beim kultischen Ballspiel (Spielspaß ist angesichts der nachfolgenden Opferriten wohl nicht ganz das rechte Wort …)
Mit dem heutigen Gummi hatte dieses Material aber noch nichts zu tun. Den verdanken wir dem Verfahren der Vulkanisation , erfunden vom Amerikaner Charles Goodyear. Goodyear betrieb eine Eisenwarenhandlung in Philadelphia und litt an einer für das 19. Jahrhundert typischen Krankheit, der »Erfinderitis«, die weniger für den Betroffenen als für seine Umgebung eine schwere psychische und finanzielle Belastung darstellte. Im Falle Goodyears hatte sich das manische Interesse auf die Verbesserung des Kautschuks konzentriert; der Mann, chemisch reiner Autodidakt, war überzeugt, dass dies möglich sein müsste. Normaler Kautschuk wird schon bei 30 Grad weich, in der Kälte aber so spröde, dass er leicht bricht. Das war umso ärgerlicher, als verschiedene Patente schon die Riesenmöglichkeiten des Kautschuks ahnen ließen: 1823 erfand Charles Macintosh den später nach ihm benannten Regenmantel, den »Mac«, populär geworden durch Sherlock Holmes, den sein Schöpfer, Arthur Conan Doyle, einen solchen Mantel tragen ließ. Er war im regenreichen England ungemein praktisch. Macintosh hatte zwei Stoffbahnen mit in Benzol gelöstem Kautschuk aneinandergeklebt und so die Wasserdichtheit erreicht. Die ungeheure Popularität dieses Kleidungsstücks ist heute nicht mehr ganz nachvollziehbar – die Kautschukschicht war nämlich nicht nur wasser-, sondern auch hundertprozentig dampfdicht, was bei der geringsten körperlichen Aktivität zu Sauna-Mikroklima führen musste; der Tragekomfort des Macintosh bestand wohl nur darin, dass man nicht mehr vom Regen bis auf die Haut nass wurde, sondern lediglich vom eigenen Schweiß.
Arthur Wellesley wiederum, der erste Herzog von Wellington, hat nicht nur (unter maßgeblicher Mithilfe der Preußen) Napoleon in der Schlacht von Waterloo besiegt, sondern auch den Schnitt britischer Gummistiefel festgelegt, die nach ihm bis heute »Wellies« heißen. (Das Filet Wellington hat er nicht erfunden, das heißt nur ihm zu Ehren so.)
Zurück zu Goodyear: 1839 gelang ihm eine der bedeutendsten Entdeckungen der Technikgeschichte, die Vulkanisation von Gummi. Die Legende will, dass ihm ein Stück Kautschuk in flüssigen Schwefel fiel – und trara! – der Gummi war erfunden.
So einfach geht es nicht. Man muss den Schwefel schon mehrere Stunden einwirken lassen. Passender ist daher eine weitere hübsche Erzählung: Goodyear habe die Kautschuk-Schwefel-Mischung, als seine Frau Clarisse früher als gedacht nach Hause kam, schnell im Backrohr versteckt – die Ehefrau hatte gewaltige Vorbehalte gegen die Experimentiererei, die nur Geld verschlang, statt
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