Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
Kautschuk in Form winziger Kügelchen in Wasser – nein: nicht gelöst, sondern diskret dispergiert . Das klingt beeindruckend, beschreibt aber nur die Tatsache, dass diese Kugeln – zwischen 50 Millionstel Millimeter und 2 Tausendstel Millimeter groß – in der Brühe herumschwimmen, ohne miteinander etwas zu tun haben zu wollen; wenn sie aneinanderstoßen, entfernen sie sich wieder, denn sie sind außen alle elektrisch negativ aufgeladen, und gleichnamige Ladungen stoßen sich ab: Die Ladungen kommen von einer Eiweißhülle, in die die Kautschukmasse eingehüllt ist; dieses Eiweiß erfüllt für den Kautschuk dieselbe Funktion wie das Eiweiß, das die Fetttröpfchen in der Kuhmilch stabilisiert. Der Sinn des Ganzen? Das Gemisch bleibt flüssig; das Kalb kann trinken, der Baum seine Verletzungen mit in dünnen Röhren fließender Kautschukmilch abdichten.
Das Eiweiß hat auch einen Nachteil: Es verdirbt rasch, die Kautschukmasse fängt an zu faulen. Davon abgesehen musste man, wenn man die eigentliche Kautschukmasse gewinnen wollte, den Saft irgendwie zum Gerinnen bringen – ähnlich der Verarbeitung von Milch bei der Käsebereitung. Man lässt die Kautschukkügelchen mit Essigsäure koagulieren . Früher wurde die Masse auf ein Rundholz aufgeträufelt, das sich über Feuer drehte, es bildeten sich wie beim Baumkuchen des Konditors übereinanderliegende Schichten. Zum Teil wird Kautschuk von Kleinpflanzern auch heute noch so hergestellt. Es entstehen bei dieser Methode wie auch bei höher mechanisierten Verfahren in sogenannten installations Kautschukfelle, die man zu 113 Kilo (250 pounds) schweren Ballen zusammenpresst und so verschickt.
Warum dieser Aufwand? Was ist das Besondere am Kautschuk, woraus besteht er? 1770 berichtete der Chemiker Joseph Priestley, der auch den Sauerstoff entdeckt und das Sodawasser erfunden hat, dass man mit Kautschuk Bleistiftstriche ausradieren kann (eine Erfindung, die im Zeitalter des Kugelschreibers etwas an Bedeutung verloren hat), aber es dauerte bis 1826, dass das Multigenie Michael Faraday feststellte, dass Kautschuk aus einem simplen Kohlenwasserstoff der Summenformel C 3 H 8 besteht, nämlich aus dem in der folgenden Abbildung:
Man nennt das Molekül Isopren, aber auch 2-Methyl-Butadien (1,3) . Die Formel ist nicht so unerlernbar und willkürlich, wie der Name verheißen mag: Man sieht sofort eine zweimal gebogene Kette von vier Kohlenstoffatomen, diese Kette heißt Butan , wenn alle übrigen Bindungen mit Wasserstoffatomen abgesättigt sind. Nun enthält aber unser Isopren zwei Doppelbindungen, eine vorn, eine hinten, die nach den Namensregeln mit der Silbe -en bezeichnet werden, zwei davon mit dem Vorsatz di-, also -dien (nach dem griechischen Wort für »zwei«: d yo ). Dann steht da noch die Klammer (1,3), das liest sich nicht etwa »eins-Komma-drei«, sondern »eins drei« und heißt schlicht, dass die eine Doppelbindung vom Kohlenstoffatom Nummer 1 ausgeht, die zweite vom Atom Nummer 3. Und woher weiß man, welches jetzt das Atom Nummer 1 ist? Man zählt in unserem Fall von links nach rechts, dann steht nämlich schon am zweiten C-Atom der Kette die Methylgruppe (-CH 3 ), wodurch sich die Stellungsbezeichnung 2-Methyl im 2-Methyl-Butadien(1,3) ergibt – würde ich die Kette von rechts nach links nummerieren, dann stünde die Methylgruppe am C-Atom Nummer 3, aber merke: Man zählt immer so, dass möglichst kleine Zahlen rauskommen.
Und was tut jetzt dieses Methylbutadien (ich lasse die Ziffern von jetzt an der Einfachheit halber weg)? Es polymerisiert. Das heißt, die beiden Doppelbindungen links und rechts gehen auf, wodurch vier zusätzliche Bindungen frei werden, eine an jedem der vier Kohlenstoffatome. Was machen diese freien Bindungen? Sie versuchen, sich wieder abzusättigen – mit irgendeiner anderen freien Bindung. Für die ganz außen ist es einfach: Die hängen sich an das nächste Molekül, das bei dieser Polymersache auch mitgemacht hat, die Kette wird einfach nach jeder Seite um vier Mitglieder verlängert – und die beiden neu angehängten Moleküle machen es genauso, wodurch die Kette immer länger wird. Das geht so weiter – nein, nicht endlos, aber über dreißigtausend Mal, wobei ein sehr langes, fadenförmiges Molekül entsteht.
Und was passiert mit den offenen Bindungen, die bei den beiden mittleren Bindungen entstanden sind? Die hängen sich wieder aneinander und bilden eine neue Doppelbindung, die jetzt genau dort steht, wo vorher die
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