Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
setzte sich durch den Zusatz »Gummi-« von anderen Kühnes ab.
Wer irgendeinen Gummiartikel brauchte, ging zum »Gummi-Kühne«, egal, ob Schlauch, Kinderbadewanne oder was sonst gefragt war; wenn es der Gummi-Kühne aber nicht hatte, brauchte man es sonst nirgendwo zu probieren. Dann gab es das in unserem Landstrich nicht. In der Nachbarschaft Dornbirn hieß das analoge Geschäft »Gummi-Raab«, beide hatten eine jahrzehntelange Geschichte und Gummi als Alleinstellungsmerkmal in ihrer Stadt.
Ich erwähne das deshalb, weil man aus der Namensverwendung einiges ablesen kann: Bei den deutlich häufigeren Bäckern steht der Familienname vor dem Produkt (»Spiegel-Bäck«); es gibt einen ganzen Haufen Bäcker, Metzger und so weiter, aber nur ein Geschäft für Gummi. Es braucht auch nicht mehr, aber dieses eine unbedingt. Das Material war so unverzichtbar, dass es die erste Stelle in der Zusammensetzung einnahm: Gummi-Kühne.
Heute sind in diesen Läden, sofern sie noch existieren, die meisten Erzeugnisse aus Kunststoff, nicht mehr aus Gummi. Darin spiegelt sich die historische Entwicklung; Gummi war lange vor den Zeiten der Einkaufszentren und Baumärkte etwas so Besonderes, dass es den Händler aus der Masse der Namensvettern heraushob, gleichsam adelte. Die Kunststoffe betraten die Weltbühne erst hundert Jahre nach dem Gummi, als schon alles in Massen produziert wurde; ein »Plastik-Kühne« oder »Plastik-Raab« ist undenkbar, wenn an jeder Supermarktkasse die Plastiktüten zu Dutzenden hängen. Wegwerfartikel im Grunde. Am Plastik haftet von Anfang an die Aura des Minderwertigen, wie am Gummi die des Besonderen, Wertvollen. Warum?
Gummi ist elastisch.
Der schlichte Satz macht den Gummi zu etwas Einzigartigem. Elastizität ist die Eigenschaft, sich bei Dehnung zu verformen – und beim »Loslassen« wieder in den ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Die Eigenschaft ist ungeheuer praktisch . Ich erspare mir die Aufzählung von Artikeln, die ihren Gebrauchswert alle aus der Gummielastizität beziehen. Jeder kann sich selber eine solche Liste aufstellen. Bei jedem Gummiartikel sieht man sofort, wie er funktioniert. Im Unterschied etwa zu einem Medikament, nach dessen Einnahme man nicht sieht, wie es funktioniert (und ob es überhaupt funktioniert hat, stellt sich erst viel später heraus). Ein Beispiel sei mir doch gestattet: die Spezialgummiringe zur Abdichtung von Einweckgläsern. Diese heiß gewaschenen, breiten Ringe dichteten den Spalt zwischen Kompottglas und Glasdeckel, nachdem unter diesem aufgesetzten Deckel eine Alkoholflamme den Sauerstoff verbraucht und ein Vakuum erzeugt hatte. Ohne diesen Dichtring war das Einkochen unmöglich.
Überhaupt: Dichtung und Dämpfung . Der Gummi hilft uns über die Tatsache hinweg, dass wir in keiner perfekten Welt leben. In einer solchen, mathematisch präzisen, würden Rohre ohne Zwischenraum ineinanderpassen, Motoren würden nicht vibrieren und bräuchten keine elastischen Halterungen, Waschmaschinen keine Gummifüßchen … Der Gummi hilft, wo etwas nicht perfekt passt; in Gestalt des Silikongummis ist er unverzichtbar zur Abdichtung aller möglichen Fugen und Ritzen: Es geht eben nicht darum, irgendeinen Dreck hineinzustopfen, das konnte man auch im Mittelalter – das Silikon passt sich Wärmedehnungen an und dichtet dauerhaft ab.
Der Ausdruck »Gummi« kommt vom Griechischen to kommi , das der Historiker Herodot aus dem Altägyptischen genommen hat – der seltene Fall eines ägyptischen Fremdworts in der griechischen Sprache ( kommi ist undeklinierbar). Im Ägyptischen hieß es einfach »Harz«.
Nun ist Gummi alles andere als ein Harz, aber sei’s drum. Im Zusammenhang mit Gummi spricht man auch oft von »Kautschuk« oder »Latex«. »Kautschuk« stammt aus der Ketchuasprache südamerikanischer Ureinwohner. Das ist alles nicht ein und dasselbe: Zuerst kommt der Milchsaft (lateinisch: Latex), wenn man die Rinde gewisser Pflanzen anritzt. Die Gewächse versuchen damit, die Wunde zu verschließen und das Eindringen von Bakterien zu verhindern. Die altamerikanischen Kulturen haben diesen Milchsaft gesammelt und auch schon verarbeitet. Das Produkt heißt dann Kautschuk, in der Sprache der Ureinwohner ca-hu-chu – »der Baum weint«. Wie sie das gemacht haben, ist nicht ganz klar. Man findet in der Literatur das Trocknen der Masse im Rauch von Urucuri-Nüssen, was gleichzeitig eine Stabilisierung bewirkte; durch Zugabe bestimmter Pflanzensäfte soll dann schon
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