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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Naturkautschuk zu synthetischem Kautschuk sieht so aus: Rund sieben Millionen Tonnen vom Baum stehen rund zehn Millionen Tonnen aus der Chemie (Stichwort: Erdöl) gegenüber; der Naturkautschuk hat also noch lange nicht ausgedient. In unseren Reifenreklame-Clips erfährt man davon allerdings nichts. Dort ist der Autoreifen ein Über-drüber-Hightech-Produkt – aber der Grundstoff wird zu einem erklecklichen Anteil von schwitzenden Männern und Frauen eingesammelt , die den lieben langen Tropentag mit Blecheimerchen durch die Plantage rennen … (ein Zapfer schafft 400 bis 500 Bäume pro Tag). Ein größerer Gegensatz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist kaum denkbar.
    Der Kautschukbaum beherrscht heute die Plantagen der großen Produzenten in Asien. Er ist aber nicht die einzige Pflanze mit kautschukhaltigem Milchsaft. Es gibt zweitausend davon. In Afrika die dreißig Meter lang werdende Liane Landolphia owariensis; für die Bewohner des Kongo war diese Pflanze das denkbar größte menschliche Unglück. Natürlich nicht die Pflanze selbst, sondern die Ausbeutung ihres Milchsaftes – wohl das düsterste Kapitel der europäischen Kolonialgeschichte. Es ist heute weitgehend vergessen, oder besser: verdrängt, betrifft es doch ein geachtetes Mitglied der Europäischen Union, nämlich Belgien. König Leopold II. hatte bei der Berliner Kongokonferenz von 1885 erreicht, dass das gesamte Kongobecken mit Hinterland als sein Privatbesitz anerkannt wurde. Die in Ostasien angelegten britischen und niederländischen Kautschukplantagen waren noch nicht in Produktion (die Bäume zu jung) – so ergaben sich ein paar Jahre, in denen der Besitzer natürlicher Kautschukvorkommen wahnwitzig reich werden konnte: wenn er sich beeilte und das Einsammeln des Milchsaftes der verstreut wachsenden Lianen organisierte. Wer sollte dieses Einsammeln besorgen? Natürlich die Eingeborenen. Aber wie gesagt: Das musste man richtig organisieren. Jedem Dorf wurde eine Kautschukquote auferlegt. Wer beim Sammelpunkt zu wenig ablieferte, hatte mit Repressionen zu rechnen, zunächst Auspeitschen mit der Peitsche aus Nilpferdleder. Das war demotivierend, es kam zu Aufständen. Es wurde ge- und erschossen. In großem Maßstab. Die teure Munition musste eingeführt werden. Jeder der in die Armee gezwungenen afrikanischen Soldaten bekam die Patronen genau abgezählt. Damit nicht blöd herumgeballert wurde, musste für jede verschossene Patrone die abgehackte rechte Hand des Opfers vorgezeigt werden. Damit die Hände bis zur Kontrolle haltbar blieben, wurden sie geräuchert. Oft hackte man auch Lebenden die Hände ab, um Fehlbestände zu kaschieren, oder man stellte drei oder vier Leute hintereinander und ermordete sie mit einem einzigen Geschoss.
    Mit der Zeit stellte sich heraus, dass alle diese Repressionen trotzdem nicht den gewünschten Sammelerfolg garantieren konnten. Also ging die belgische Kolonialverwaltung dazu über, Frauen und Kinder in Geiselhaft zu nehmen. Freilassung erfolgte nur bei ausreichender Kautschukablieferung durch die Männer …
    Die sogenannten »Kongogräuel« blieben der Weltöffentlichkeit nicht verborgen. Dem Angestellten einer britischen Reederei, die das Handelsmonopol für den Kongostaat besaß, war aufgefallen, dass zwar Kautschuk in rauen Mengen aus dem Kongo aus-, aber fast nur Waffen und Munition in den Kongo eingeführt wurden. Dieser Mann hieß Edmund Dene Morel, geboren in Paris als Sohn einer französischen Mutter und eines englischen Vaters. Er gehört zu den großen Unbekannten des 19. Jahrhunderts – nicht vergessen, sondern verdrängt. Morel sammelte die Berichte von Missionaren, den einzigen Europäern, die außerhalb der belgischen Verwaltung Zugang zum Kongo hatten. Er gründete die Zeitung »West African Mail« und die »Congo Reform Association«. Unterstützt wurde er von Sir Roger Casement, einem Diplomaten, der im Auftrag der britischen Regierung einen Bericht über die Zustände im Kongo verfasst hatte, den »Casement-Report«. Die Öffentlichkeit in Großbritannien und den USA konnte in dieser ersten Menschenrechtsbewegung des 20. Jahrhunderts so stark mobilisiert werden, dass Leopold II. gezwungen war, 1904 eine eigene Kommission zur Untersuchung der »Kongogräuel« einzusetzen. Obwohl in seinem Sinne handverlesen, konnte die Kommission die überwältigenden Beweise für die Verbrechen nicht übersehen. 1908 war Leopold gezwungen, seinen Kongo an den belgischen Staat zu verkaufen. Das Gebiet hieß

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