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Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen

Titel: Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Frau Professor Schmidt-Tenever… Direktor von Wysocky…“
    Borkenhagen hörte schon gar nicht mehr hin; er verneigte sich rhythmisch und murmelte monoton: „Hartmann… Hartmann… Hartmann…“
    Etwa dreißig Personen mochten in dem langgestreckten, holzgetäfelten Raum versammelt sein, überwiegend Leute, die im Who-is-Who standen. Borkenhagen kam sich klein und unbedeutend vor und wäre gern weit, weit weg gewesen. Er verfluchte innerlich seine – im wahrsten Sinne des Wortes – Schnapsidee und merkte, daß er feuchte Hände bekam. Er versuchte, an das Geld zu denken, das ihm Nedomanski versprochen hatte, aber es half nichts. Plötzlich wurde ihm klar, daß er Angst hatte vor diesen Leuten.
    Es ärgerte ihn. Verdammt noch mal, dachte er, reiß dich zusammen! Wer sind denn die schon? Und wer bist du? Du bist doch auch wer! Du brauchst doch nicht zu kuschen, bloß weil keiner von deinen werten Vorfahren nach dem letzten Krieg rechtzeitig auf die Idee gekommen ist, mit Schrott zu handeln…
    „Hallo – Doktor!“
    Jawoll: Doktor, Senator, Direktor – Arschlöcher seid ihr! Und den Doktor mach ich auch noch. Nun gerade, um euch zu… Doktor? Ach so, der meint ja mich.
    Nedomanski rief quer durch den Raum: „Hallo, Dr. Hartmann – Sie sind doch Experte… Kommen Sie doch bitte mal zu uns!“ Er stand mit seinem Bruder, einem AEG-Direktor, einem Journalisten und einem Chemiker in der Nähe der Tür; sie diskutierten.
    Borkenhagen rammte beide Hände in die Hosentaschen, versuchte arrogant auszusehen und trat zu der Gruppe. „Ja…?“
    „Hören Sie, Doktor, wir streiten uns, ob in Deutschland tatsächlich schon Leute am Burkitt-Tumor erkrankt sind…“
    Borkenhagen unterdrückte ein Lächeln; seine Unsicherheit war verflogen. Die Virus-Theorie der Krebsentstehung war eines der Gesprächsthemen, die zwischen Nedomanski und ihm abgesprochen waren; er hatte sich mit Hilfe von Sabines Büchern entsprechend vorbereitet. „Leider gibt es schon zwei Erkrankungen bei uns…“
    „Burkitt-Tumor? Nie gehört!“ Der AEG-Direktor schüttelte den Kopf.
    Borkenhagen dozierte: „Es handelt sich dabei um eine Lymphdrüsengeschwulst im Gesichtsbereich, die… warten Sie… 1958 von Professor Burkitt in Afrika gefunden wurde. In den Zellen des Burkitt-Tumors hat man ein Virus gefunden, das dem Herpes-Virus ähnlich ist: das Epstein-Barr-Virus. Das ist ein wichtiger Hinweis darauf, daß Tumoren auch beim Menschen durch Viren erzeugt werden… Darf ich Ihnen kurz die DNS- und die RNS-Viren erklären?“
    Er gewann langsam an Selbstsicherheit und wuchs immer mehr in die Rolle des Dr. med. Hartmann hinein. Es war von einem eigenartigen Reiz, ein Hochstapler zu sein, ein Lustgefühl von erotischer Qualität. Dazu kam das brennende Glücksgefühl, das alle Verschwörer empfinden. Dies war ja seine Verschwörung gegen die Konventionen des Establishments, sein Attentat gegen die Arrivierten, gegen die Leute, vor denen er gerade noch Angst gehabt hatte. Das reizte ihn mächtig; sein schauspielerisches Talent entfaltete sich gleichsam von selbst, ohne sein Zutun. Als er Maria Nedomanski, die an Verdauungsstörungen litt, die Funktion der Gallenblase erklärte, machte er keinen Fehler.
    Doch nach einigen Minuten wurde ihm klar, daß er an sich nur Eulen nach Athen trug, denn in diesem Kreis glaubte ihm jedermann von vornherein den Mediziner; hier trieb man keine Scherze mit seinen sozialen Rollen.
    So fühlte er sich schnell als Herr der Lage, und als man sich bald darauf an der langgestreckten Tafel zum Abendessen niederließ, nickte er Nedomanski unauffällig zu. Und als serviert wurde, aß er mit Appetit.
    Nach dem zweiten Gang erhob sich Walter Nedomanski und klopfte an sein Glas.
    „Mein lieber Bruder, liebes Geburtstagskind! Im Namen deiner Freunde, deiner Mitarbeiter und – last not least – deiner Anverwandten möchte ich dir noch einmal sehr herzlich zur Vollendung deines 57. Lebensjahres gratulieren. Drehen wir die Zahl um, so haben wir das Alter, bis zu dem wir dir vorerst Gesundheit und unverminderte Schaffenskraft wünschen – dann sprechen wir uns wieder, um dir die besten Wünsche bis zum Hundertsten mit auf den Weg zu geben. Wir zweifeln nicht, daß du auch im kommenden Lebensjahr alle deine Ziele erreichen wirst – und wir wünschen dir das nötige Glück dazu. Und: wenn’s schlecht dir geht – nimm NEDO-Med!“
    „Bravo!“ Händeklatschen. „Hoch soll er leben!“ Dann wurde der nächste Gang

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