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Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen

Titel: Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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schien es sekundenlang, als sei der Vorführapparat bei seinen letzten Worten mit einem lautlosen Ruck stehengeblieben. Keine Bewegung, kein Laut, keine Tränen… Dann lief der Film wieder an.
    Jemand sagte: „Ausgerechnet an seinem Geburtstag!“
    Walter Nedomanski fügte kaum hörbar hinzu: „Wie es sich für einen außergewöhnlichen Menschen gehört.“
    Der Direktor sagte zu seiner Frau: „Da hilft auch kein NEDO-Med mehr.“
    Die Angehörigen standen im Kreis um Maria Nedomanski herum. Sie war beherrscht wie immer; in ihrem Gesicht, das Borkenhagen irgendwie an eine Schildkröte erinnerte, zuckte es nicht einmal. Walter Nedomanski sah auf die Spitzen seiner altmodischen Schuhe; Guido, Nedomanskis Neffe, suchte mit unruhigen Blicken nach Martina Dahms. Edda hatte ihren Kopf an die Schulter ihres Verlobten gelegt.
    Die ersten Gäste gingen auf die kleine Gruppe zu, drückten erst Maria Nedomanski und dann den anderen die feucht gewordenen Hände.
    „Mein herzliches Beileid, gnädige Frau.“
    „Er wird uns allen furchtbar fehlen.“
    „Wenigstens brauchte er sich nicht so lange zu quälen.“
    „Der Herr möge Ihnen die Kraft geben, mit allem fertig zu werden.“
    „Er ist viel zu früh von uns gegangen.“
    „Ein unersetzlicher Verlust für uns alle.“
    „Meine aufrichtige Anteilnahme, Frau Nedomanski.“
    „Bleiben Sie tapfer!“
    „Ja, die Besten müssen immer zuerst gehen!“
    „Mitten aus dem Leben gerissen…“
    „Darf ich Ihnen für die kommenden schweren Tage die Hilfe meines Büros anbieten…?“
    Borkenhagen registrierte den ganzen Ritus mit der uneingeschränkten Aufmerksamkeit, die Nedomanski ihm eingeschärft hatte. Er war noch immer überdreht; das Blut rauschte in den Ohren, aber die Beklemmung war weg.
    Die Kondolationscour ging zu Ende; die Gäste standen unschlüssig in der Nähe der Tür.
    „Wir sollten noch einmal an sein Bett treten“, schlug Guido vor.
    Borkenhagen fuhr zusammen. Das könnte Nedomanski möglicherweise um seinen spektakulären Auftritt bringen. Er mußte sich etwas einfallen lassen. Wie aus weiter Ferne und so dumpf, als käme sie aus einer Gießkanne, hörte er plötzlich seine Stimme: „Herr Nedomanski hat mir noch gesagt, er wünsche keine rühr… äh… keine große Abschiedsszene an seinem Sterbebett.“
    Maria Nedomanski nahm es kommentarlos zur Kenntnis. „Ich darf Sie alle bitten, noch ein wenig bei mir zu bleiben; Stille und Einsamkeit wären jetzt das Schlimmste für mich. Es tut mir sehr leid, daß dieser Tag so enden mußte. Herr Dreyer wird dafür sorgen, daß wir einen starken Kaffee bekommen. Ich danke Ihnen allen…“ Der Film lief weiter.
    Borkenhagen konnte es nicht fassen, daß dies alles Wirklichkeit war. Er kam aus einem Milieu, wo solche Geschehnisse undenkbar waren, wo es kleinbürgerlich und vernünftig zuging, wo sich die Phantasie im wesentlichen mit Brüsten, Beförderungen und Torschüssen beschäftigte.
    Frau Professor Schmidt-Tenever, die Biologin war, erkundigte sich, woran Herr Nedomanski eigentlich gestorben sei. Borkenhagen mußte sich wieder auf seine Rolle besinnen. Er machte nicht wieder den Fehler, zu ausführlich zu werden. Er ließ alles beiseite, was er mühsam auswendig gelernt hatte, und sagte nur kurz: „Angina pectoris.“
    Genauer wollte es auch niemand wissen. Der Kaffee wurde serviert, und die Stimmung lockerte sich. Die Gesichter hellten sich wieder auf, zuweilen erklang schon gedämpftes Lachen. Man erzählte in einzelnen Gruppen Anekdoten aus Nedomanskis Leben.
    „Sie wissen ja, ich bin mit Nedomanski zusammen zur Schule gegangen… Am Schulweg lag eine Apotheke, in einem Eckhaus, die hatte zwei Türen, eine zur Haupt- und eine zur Nebenstraße hin. Wir waren vielleicht siebzehn damals; der Apotheker, ein ganz scharfer Hund, kaum älter als Mitte Zwanzig. Wir machten uns nun einen Spaß daraus, durch die eine Tür hinein- und durch die andere wieder hinauszugehen – ohne ein Wort zu sagen. Für jeden Durchgang gab’s einen Punkt. Wir waren zehn Mann. Bald war der Apotheker dem Wahnsinn nahe. Eines Tages griff er sich Nedomanski, schleppte ihn zum Direktor – und der machte Max fix und fertig… Und wie das Leben so spielt, 1951 kommt derselbe Apotheker zu Nedomanski, um sich Geld zu borgen. Er kriegt es und baut sich eine Fabrik, in der er ein Dutzend Salben produziert. Was macht Nedomanski? Er stellt die gleichen Salben her, verkauft sie zu einem Dumpingpreis und wartet, bis der Apotheker –

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