Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen
Borkenhagen zögerte keinen Augenblick. „Mach ich mit Vergnügen! Das ist die Idee des Jahrhunderts!“ Eine makabere Szene. Absurdes Theater. Ein Skandal. Ein Beweis für die Dekadenz der herrschenden Klasse – und er im Mittelpunkt des Ganzen… Endlich wieder ein spektakulärer Ausbruch aus der genormten Welt! Ihm wurde heiß, er fieberte. „Ich spiel Ihnen einen Arzt, daß alle drauf reinfallen! Schließlich bin ich drei Jahre lang im Cabaret aufgetreten – jeden Abend! Und medizinische Kenntnisse hab ich mehr als mancher Mediziner: Die Sabine, die studiert doch Medizin, ja? Und ich muß sie immer abhören. Ihr Vater ist ein großes Tier, Professor, Chefarzt… Da krieg ich schon die richtige Ausrüstung zusammen.“
„Das war eine Fügung des Himmels, daß wir heute zusammengekommen sind“, lachte Nedomanski. „Ein dreifaches Hoch auf den alten Herrn von Ihrer Freundin – hoch soll er leben, hoch soll er leben, draaaiijj-maaal hoch! – Also, das wird der Gag meines Lebens!“ Er verschluckte sich. „Wir machen das während meiner Geburtstagsparty, wenn das Haus bis oben ran voll ist… Ich krieg wieder ‘n Herzanfall. Sie schaffen mich ins Schlafzimmer; ich sterbe, und Sie hörn sich an, was die trauernden Hinterbliebenen über mich sagen. Dann verschwinden Sie, und ich platz in die Trauergemeinde rein: April, April! War noch ‘n junger Arzt – na und? Irren is menschlich!“
„Sie müssen mich aber vorher vorstellen, und ich muß irgendwas Kluges von mir geben – damit ich auch echt wirke.“
„Klar. Sie sind Dr. Hartmann vom FU-Klinikum; ein fähiger junger Mann, der unser NEDO-Tranquil an seinen Patienten ausprobiert.“
„Jaaa…“ Plötzlich kamen Borkenhagen Bedenken. „Wir sind verrückt!“
„Na und? Andere werden’s vielleicht… Stell dir doch mal vor: Da sitzen sie alle rum und tun so, als ob sie Rotz und Wasser heulen und sind innerlich heilfroh, daß der Alte endlich ins Gras gebissen hat; sie rechnen, was sie an Geld und Posten erben… Plötzlich sind sie am Ziel: Der eine kann heiraten, der andere kann Chef werden, der dritte kann sein Leben endlich wieder genießen. Und dann…“ Er grinste breit und rülpste. „Mann, das issen Ding! Wieviel wollnsen haben dafür?“
„Wieso?“ Borkenhagen kapierte nicht gleich. „Wofür denn?“
„Na, für die Idee! Und Ihre – äh – Gage für den Auftritt…“
„Ach so.“ Er mußte schlucken. „Ja, also… Also, ich dachte…“ Wenn ich nur nicht so blau wäre! dachte er; wieviel soll ich denn… „Ein Studentenflug nach New York kostet etwa siebenhundert…“
„Soll’n Sie haben!“ Nedomanski ergriff Borkenhagens Hand und schüttelte sie lange. „Sie sind mein Mann!“ Dann umarmten sich beide, verloren sekundenlang die Orientierung und lehnten schwer gegeneinander. „Du bist mein Freund, Borkenhagen!“ lallte Nedomanski. „Mein bester Freund…“
„Ein Froiiind, ein guter Froiiind, das is das Schönste, wasses gibt auf der Welt!“ grölte Borkenhagen. Sein Kopf fiel auf den Tisch. „Bis daß der Tod uns… uns scheidet!“ brabbelte er noch.
Nedomanski rutschte halb unter den Tisch. Ein wenig sabbernd kicherte er. „Die wer’n vielleicht Augen machen, wenn ich plötzlich… Auferstanden von den Toten…“
Hier endet Borkenhagens erstes Kapitel; ich zögere noch, ein abschließendes Urteil zu fällen. Hat es Borkenhagen wirklich verstanden, die spezifische Stimmung einzufangen, in der solche Ideen geboren werden? Kann man das überhaupt?
Das schummerige Lokal; die beiden Männer, allein in einer Nische, durch Alkoholgenuß verbunden und zugleich von hemmenden Mechanismen befreit; die ziellose Unruhe Nedomanskis und Borkenhagens Sinn fürs Absurde – eine explosive Mischung. Borkenhagens Lust, mit sich und den Menschen zu experimentieren, trifft mit Nedomanskis Anlage zu kleinkariertem Cäsarenwahn zusammen… Man sollte ihn Neromanski nennen. Er säuft und hurt, gibt rauschende Feste, die in Orgien ausarten, peinigt die von ihm abhängigen Menschen, ist exaltiert und egozentrisch – ein auf bürgerliches Maß zurückgestutzter Renaissancemensch. Und Borkenhagen ist genau der Mann, das alles anzuheizen. Er ist, davon bin ich überzeugt, in manchen Bereichen skrupellos. Dabei mag ich ihn gut leiden; ich finde ihn sogar sympathisch. Aber es macht ihm ganz einfach Spaß, Menschen zu Handlungen zu provozieren, die sie sonst nicht begehen würden; er hat eine Nase für so etwas. Er entdeckt
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