Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen
Borkenhagen den ganzen Betrag vorher erhalten hatte? Wenn er nur behauptete… ? Als Alibi, gewissermaßen? Nein; es blieb die Tatsache, daß er es war, der das Buch aufs Tapet gebracht hatte.
Halt mal…
Auch das konnte natürlich ein Trick sein – logisch! Und wenn es einer war, dann war ich soeben darauf hereingefallen: Er spricht von dem Buch, damit jeder denkt, wäre er der Mörder, dann hätte er nie von dem Buch gesprochen…
Nein. Zu kompliziert. Eben dies würde zwar zu Borkenhagen passen, aber etwas anderes gar nicht: der Mord. Wenn Borkenhagen je kriminell werden sollte, dann als Schreibtischtäter…
Ich rief mich zur Ordnung; mit derlei Sophistereien kam ich nicht weiter.
Also: Winkler, Dahms, Maria Nedomanski, Walter Nedomanski, Dreyer… Sollte ich vielleicht in ihren Bücherschränken, ihren Öfen und ihren Mülltonnen herumwühlen? Oder gar die Karteikästen sämtlicher Leihbüchereien unter die Lupe nehmen?
Am sinnvollsten war es wohl, sich erst einmal für ihre Bücherschränke zu interessieren. Ich beschloß, bei Maria Nedomanski zu beginnen, denn das gab mir Gelegenheit, nicht nur sie, sondern auch den Tatort kennenzulernen. So setzte ich mich in meinen Wagen und fuhr zur Badenallee hinaus.
Ich klingelte, und nach einiger Zeit öffnete mir ein schwarzhaariges Mädchen, das auf Kammerkätzchen getrimmt war. Ich stellte mich vor und sagte, daß ich Frau Nedomanski sprechen wollte.
„Tut mir leid, Herr Doktor, Frau Nedomanski ist noch in der Stadt… Aber Herr Nedomanski ist da. Darf ich Sie melden?“
Ich sagte, sie dürfe.
Sie führte mich zu Walter Nedomanski. Ich murmelte mein Verslein, und er gab mir die Hand. Sie war eiskalt.
„So, Sie recherchieren also… Hm… Und Sie wollen mich auch ausfragen. Hm…“
„Gott, »ausfragen« – sagen wir, ich hätte gern ein paar Informationen. Es dürfte doch auch in Ihrem Interesse sein, wenn die Berichterstattung möglichst…“ Ich hielt inne, denn in der Etage über uns war etwas mit dumpfem Krachen zu Boden gefallen.
Nedomanski sah zur Decke hinauf. „Ach, das ist bloß Dreyer“, sagte er. „Unser – na, Faktotum. Er ist gerade beim Ausziehen – hat ein Haus geerbt, glaube ich.“ Die Stuckornamente schienen ihn zu faszinieren.
Ich hüstelte.
„Ach so, ja… Sie werden mich für jetzt entschuldigen müssen, Herr Doktor, denn wie es der Zufall so will, bin ich in genau einer halben Stunde mit den übrigen Teilhabern der NEDO-Werke zu einer überaus wichtigen Besprechung verabredet, die sich keinesfalls verlegen läßt. Es wäre mir aber recht, wenn Sie mich morgen einmal in meiner eigenen Wohnung aufsuchten. Ich werde Sie ab siebzehn Uhr erwarten.“
Ich hatte noch selten einen Menschen so druckreif reden hören. „Das ist nett von Ihnen“, sagte ich und nahm die Visitenkarte mit der Adresse entgegen, die er mir reichte; dann stand ich auf.
Er erhob sich gleichfalls, sagte aber: „Ach, noch etwas…“ Er schloß für ein, zwei Sekunden die Augen, dann fuhr er fort: „Sie sind Journalist, nicht wahr, und… Ich meine, es gibt doch keinen Journalisten, der nicht mit sich reden ließe… Ich biete Ihnen 10 000 – 10 000 Mark bar in die Hand – , wenn Sie Ihre Recherchen einstellen.“
„Sie bieten mir… oh!“
„Wir sehen uns ja morgen; überlegen Sie sich’s.“ Er zog die Tür auf und verschwand auf den Flur.
Ich stand da wie betäubt. Das war doch nicht möglich!
Wie durch ein umgedrehtes Fernglas hindurch sah ich das Kammerkätzchen über die Diele gehen und einen jungen Mann die Treppe herunterkommen, lässig gekleidet, blaue Jeans und weißer Pullover. Ein weiches Gesicht, ein Babygesicht, ganz nach dem Vorbild einer bekannten Seifenreklame.
„Hallo, Ina!“ rief er dem Mädchen zu.
„Hallo, D. D. Alles eingepackt?“
„Hmhm. Muß es bloß noch zum Wagen tragen… Du, ich hab vielleicht ‘n schickes Haus – na! Ich geb bald mal ‘ne Party; kommst du?“
„Klar komm ich.“
„Brauchst du ‘n Bild für dein Zimmer? Ich hab ‘n Haufen alter Schinken geerbt. Kannst dir ja mal den ganzen Krempel ansehen.“
„Mach ich.“
Das war also Dieter Dreyer, Nedomanskis Chauffeur, Gärtner, Butler und Laufbursche. So nach und nach bekam ich alle die Leute zu sehen, die ich bisher nur aus Borkenhagens Bericht kannte.
„Frau Nedomanski müßte jeden Augenblick zurück sein“, sagte Ina, die mich in der Tür entdeckt hatte.
„Kann ich vielleicht in der Bibliothek warten?“
„Gern…“
Sie
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