Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen
führte mich in einen großen Raum, der weiß Gott eichenholzgetäfelt war – ich hatte immer gedacht, so was gibt’s nur noch in zugigen alten Schlössern oder in Werbefernsehspots, wenn sie auf ,Tradition’ machen. Ich spürte sozusagen den Hauch eines alten Patrizierhauses. In geschnitzten Vitrinen goldgeprägte Lederrücken: Goethe, Schiller, Shakespeare, Heine, Lenau, Dostojewski, Tolstoj, Flaubert, Balzac und Maupassant am laufenden Meter – gegen den literarischen Geschmack des Innenarchitekten war nichts einzuwenden. Es gab auch bürgerliche Pflichtlektüre in Buchklub-Ausgaben: Vom Winde verweht, Die Caine war ihr Schicksal, Doktor Schiwago, Wem die Stunde schlägt, Desirée, Die Deutschstunde, Don Camillo und Peppone. Es gab so ziemlich alles – nur Die Wahl der Erben von Paul Ritter gab es nicht. Auch nicht in der zweiten Reihe, hinter Goethe und Heine, wo stand, was Nedomanski offenbar für Pornographie gehalten hatte. Henry Miller und Kin Ping Meh waren das Verworfenste.
Ich überlegte gerade, wie ich an das Bücherregal kommen könnte, das laut Borkenhagen im Schlafzimmer der Dame des Hauses stand, da sagte eine tiefe, gurrende Stimme:
„Haben Sie Spaß an dem Schweinkram?“
Ich fuhr herum.
Maria Nedomanski trug ein raffiniert-schlichtes Kleid, dem man nicht ansah, daß es teuer gewesen war. Wenig Schmuck: Perlen, klein genug, um echt zu sein, in mehreren Reihen; ein Siegelring, der so aussah, als brauche man dafür einen Waffenschein – das war alles. Gesamteindruck: ein bißchen maskulin, aber viel Geschmack. So zieht sich eine Frau an, deren weibliche Vorfahren mindestens drei Generationen lang am Genfer See im Pensionat waren – oder die in einem sehr guten Modegeschäft als Verkäuferin gearbeitet hat. Die Tatsache, daß Maria Nedomanskis Gesicht völlig unter Make-up verborgen war, ließ mich auf Verkäuferin tippen. (Später habe ich erfahren, daß ich recht hatte – bis auf das sehr gute Modegeschäft. Es war ein Kaufhaus.)
Ich sagte: „Oh, Pardon!“ und schob den Wendekreis des Krebses hinter die Wahlverwandtschaften. Ich war froh, daß ich nicht zum Erröten neige. „Guten Tag, gnädige Frau; ich bin Doktor…“
Sie winkte ab. „Ich weiß, wer Sie sind und was Sie wollen.“
Der Blick der kühlen grauen Augen wanderte an mir herab. Ich sah, daß sie sah, daß ich einen Anzug von der Stange trug; es war ein Blick von der Sorte, bei der man froh ist, wenn man frische Socken anhat und keine Löcher in den Schuhsohlen. Ich merkte, wie ich abgestempelt wurde: akademisches Proletariat.
„Ich stehe Ihnen gern zu jeder Auskunft zur Verfügung“, gurrte sie. „Nehmen Sie doch Platz – der Tee kommt gleich.“
Ich versank in einem schwarzen Ledersessel. Der Tee kam. Das Porzellan war beeindruckend. Der Tee war ausgezeichnet. Ein Whisky wäre mir lieber gewesen.
„Sie sind der erste Journalist, der dieses Haus betritt“, sagte sie, nachdem sie an ihrem Tee genippt hatte. „Ich meine das nicht persönlich, aber Ihr Beruf hat so etwas – na, etwas Zersetzendes, ja? Immer nur Kritik – und meistens Kritik, die dem bloßen Neid entspringt. Immer nur die Verteufelung der Reichen. Statt des Dankes, daß man Arbeitsplätze schafft und das herstellt, was die Gemeinschaft zum Leben braucht, nur Verleumdungen…“
Ich ließ sie reden. War diese Frau tatsächlich so dumm? Leute ihres Schlages versuchen in solchen Situationen meist, sich gut mit der Presse zu stellen – wennschon im allgemeinen nicht auf die sehr direkte Weise, in der es Walter Nedomanski versucht hatte… Es dauerte eine Weile, bis sie endlich zur Sache kam.
„Wo ich Max zum erstenmal gesehen habe? Das war 1952 auf einem Haveldampfer, unser Tennisclub hatte eine Mondscheinfahrt veranstaltet. Er forderte mich zum Tanzen auf. Nach der Scheidung von meinem ersten Mann hatte ich mir geschworen, nie wieder zu heiraten, aber Max sorgte dafür, daß ich diesen Vorsatz bald vergaß. Er war hart – hart und zielbewußt. Wenn er etwas wollte, dann bekam er es auch.“
„Er soll ja, was Weiblichkeit angeht, öfters mal ,etwas gewollt’ haben…“
„Ich weiß, ich weiß! Wie können Sie einen außergewöhnlichen Menschen mit gewöhnlichen Maßstäben messen? Natürlich brauchte er andere Frauen, aber das tat meiner Liebe keinen Abbruch. Wir zwei sind immer durch dick und dünn gegangen…“
Ich hörte gar nicht mehr hin; ich betrachtete ihre muskulösen Arme. Kraft genug, um… Aber sie war ja gestürzt und dann
Weitere Kostenlose Bücher