Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen
hier.“
„So… wie dumm. Haben Sie eine Ahnung, wo ich ihn erreichen kann?“
„Tut mir leid.“
Hm… Na, vielleicht ging es auch ohne Borkenhagen. Ich rief meinen alten Freund Uri an. Er ist Diplom-Bibliothekar und liest die Bücher meterweise, und zwar quer durch den Garten. Nicht einmal vor Jacqueline Susann und Harold Robbins schreckt er zurück. Wenn jemand darüber die Nase rümpft, sagt er, er ist literatursoziologisch interessiert.
„Hallo, Uri, wie geht’s?“
„-ky? Mensch, daß du auch noch lebst…“
Das übliche Wie-geht’s-danke-und-selber-danke-auch-Gerede. Dann:
„Du, Uri, ich brauch mal deine Hilfe.“
„Schieß los!“
„Ich suche ein Buch, aber ich weiß weder den Titel noch den Autor…“ Ich erzählte ihm den Inhalt. „Irgendein Trivialroman. Gibt’s da irgendjemand bei euch, der mir da weiterhelfen kann?“
„Ich werd mal unsere Putzfrau fragen… Weißt du wenigstens den Verlag? Das Erscheinungsjahr? Ist es ein Taschenbuch oder eine gebundene Ausgabe?“
„Keine Ahnung. Sieh mal zu, was sich machen läßt.“
„Du machst mir Spaß… Na schön. Ich ruf zurück.“
Ich saß da und wartete. Mein Gedankengang war ganz simpel: Warum sollte nur Borkenhagen dieses Buch gelesen haben? Konnte es nicht auch einem der potentiellen Mörder in die Finger gekommen sein? Vielleicht stand es sogar in Nedomanskis Bücherschrank! Angenommen, der Mörder kannte den Inhalt des Buches – dann lag es doch nahe, daß er im Laufe des Abends gemerkt hatte, was da gespielt wurde: der Arzt, den keiner jemals zuvor gesehen hatte, die hochgespielte Geburtstagsparty, der Zyniker Nedomanski mit seinem Spaß an makaberen Gags, der plötzliche Herzanfall – da mußte er doch was gemerkt haben! Welche Chance für ihn, einen perfekten Mord zu begehen! Außer ihm und dem Arzt waren ja alle anderen Gäste felsenfest davon überzeugt, daß Nedomanski eines natürlichen Todes gestorben war. Und der Arzt, von dem er ja annehmen würde, daß er echt und gekauft war – der Arzt würde schon den Mund halten, wenn er später den Mord bemerkte, denn für ihn stand ja seine ganze Existenz auf dem Spiel. Sicherlich hatte er mit Nedomanski ein hohes Honorar für seinen ,Irrtum’ ausgemacht; wenn das bekannt wurde, war er erledigt… Ergo: Wer das Buch kannte, konnte Nedomanskis Spiel durchschauen und hatte eine reelle Chance, einen perfekten Mord zu begehen.
Das war’s, was ich mir da zusammengereimt hatte. Sicher, da war auch noch der Einbrecher. Aber in Anbetracht so vieler Anwesender mit potentiellem Tatmotiv fand ich, daß der gute Oberkommissar Mannhardt zu eingleisig fuhr. Auf alle Fälle eröffnete die Sache mit dem Buch neue Möglichkeiten.
Am Nachmittag rief mich Uri an. „Dein Glück möchte ich haben!“
„Was ist denn herausgekommen?“
„Ich hab den ganzen Tag über telefoniert – nichts! Von meinen Kollegen hat keiner den Schmöker gekannt. Kein Wunder! Dann bin ich rübergegangen zur Ausleihe und hab ein paar alte Muttchen gefragt…“ Er legte eine Pause ein, um es spannender zu machen. „Unsere älteren Mitbürgerinnen kannten das Buch allesamt nicht. Muß wohl ein bißchen aus der Mode gekommen sein. Ich wollte schon aufgeben, da fiel mir ein, daß eine Bekannte von mir eine Doktorarbeit über den deutschen Kolportageroman schreibt. Und siehe da – sie wußte Bescheid: Die Wahl der Erben heißt das Dings; ein gewisser Paul Ritter hat es verbrochen.“
„Du bist ein Genie! Ich werde dich in mein Nachtgebet einschließen!“
„Bargeld wär mir lieber.“
„Materialist… Einigen wir uns auf eine Flasche Cognac?“
„Cognac ist gut. Allein wegen des Geldwertschwundes.“
„Hör mal, Nachtgebet ist auch währungsbeständig…“
Wir blödelten noch eine Weile hin und her und legten schließlich auf.
Das hatte ja geklappt. Wunderbar; nun mußte ich nur noch diejenigen Personen herausfinden, die das Buch gelesen hatten. Das war leichter gesagt als getan.
Wenn es der Einbrecher nicht getan hatte, kamen nach menschlichem Ermessen nur sechs Personen als Mörder in Frage: Guido Winkler, Martina Dahms, Maria Nedomanski, Walter Nedomanski, Dieter Dreyer und Robert Borkenhagen. Daß Borkenhagen das Buch gelesen hatte, stand fest, spielte jedoch keine Rolle. Borkenhagen schied praktisch aus – erstens hätte er das Buch nicht erwähnt, wenn er der Täter wäre, zweitens hätte er sich um das Geld gebracht, das er noch von Nedomanski bekommen sollte… Moment mal: Und wenn
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