Von den Sternen gekuesst
»Ich erwähne lieber nicht, was dieses Stück wert ist, princesse . Welchen Seltenheitswert es hat. Denn sonst würdest du dich vermutlich nicht trauen, es je wieder um den Hals zu legen.«
Ich hörte, wie Vincent in meinem Kopf kicherte, und musste grinsen. »Mensch, Papy, das ist doch nur ein Anhänger.«
»Ja, Kate. Ein Anhänger, der dir den Schutz der Revenants zusichert. Gleichzeitig zeigt er aber auch, wie viel du ihnen bedeutest. Wenn dieses spezielle signum symbolisiert, welchen Wert du für sie hast – und wie viel sie bereit sind, für dich zu geben –, kann ich mit dem Schutz, den ich dir bieten könnte, in keinster Weise mithalten. Dieses Stück zeigt nur eins überdeutlich: Du bist unbezahlbar.«
Mein Großvater lächelte mich mild an und drückte meine Hand. »Damit bin ich hochoffiziell deklassiert, princesse .«
»Es ist ja kein Wettbewerb, Papy«, sagte ich ebenfalls lächelnd. »Wir ziehen doch an einem Strang, jetzt, da du ganz dazugehörst.«
Papy hielt mir seinen Arm hin, ich hakte mich unter und ließ mich von ihm hinausführen. »Dann gehen wir die Sache mal an.«
W ir verließen den Pariser Charles-de-Gaulle-Flughafen um zwanzig Uhr und landeten durch das Überfliegen von sechs Zeitzonengrenzen magischerweise schon um zweiundzwanzig Uhr auf dem JFK Airport in New York. Ich hatte fast nicht geschlafen – wobei ich nicht sagen konnte, ob aus Sorge oder vor Aufregung. Vielleicht wegen beidem. Papy und Bran waren weggedöst, kaum dass wir in der Luft waren. Jules unterhielt sich im hinteren Teil des Flugzeugs leise mit Vincent und vertiefte sich nach einer Weile in ein Buch.
Ein Fahrer erwartete uns am Flughafen mit einem Schild, auf dem von Hand »Grimod« geschrieben stand. Er leitete uns zu einer Limousine, die vor dem Gebäude geparkt war. Der Schnee lag mehrere Zentimeter hoch. Ein eiskalter Wind ließ mich den Mantel enger um mich schlingen, vorsichtig umging ich die vereisten Stellen auf dem Bürgersteig.
Auf dem Weg nach Manhattan herrschte Schweigen im Wagen. Ich fühlte mich merkwürdig benommen, während ich die funkelnden Lichter der Stadt beim Näherkommen betrachtete. Was ganz sicher nicht nur am Jetlag und Schlafmangel lag. Ich war wieder zurück.
Zurück an dem Ort, an dem ich aufgewachsen war. Wo ich sechzehn Jahre – mein ganzes Leben lang – gewohnt hatte. Mit meiner Mutter und meinem Vater, wo ich zur Schule gegangen war, Autofahren gelernt und das erste Mal einen Jungen geküsst hatte. Dieser Ort war Fakt, Paris war Fiktion. Weshalb fühlte sich dann alles so unwirklich an? Ich ahnte, dass die Benommenheit nur etwas anderes überdeckte: den Kummer vielleicht. Oder den wiedererwachenden Schmerz, auf den ich nicht vorbereitet war.
Bran hingegen starrte mit großen Augen aus dem Fenster und genoss die Aussicht mit unverhohlener Neugierde. Er keuchte leise, als das hell erleuchtete Empire State Building vor uns auftauchte. Papy fragte: »Sind Sie das erste Mal in Amerika?«
»Ich habe überhaupt zum ersten Mal Frankreich verlassen«, antwortete Bran, ohne den Blick von all den Sehenswürdigkeiten zu lösen.
»Und du?«, fragte ich Jules, der entspannt auf der Rückbank saß und nicht sonderlich beeindruckt davon schien, dass wir gerade den East River auf der Manhattan Bridge überquerten.
»Ich bin immerhin schon bis Brasilien gekommen«, sagte er, während sein Blick träge zu mir und wieder zurück glitt. Er war anders seit dem Kuss. Distanziert. Auf dem Weg zum Flughafen hatte er so weit weg von mir gesessen wie eben möglich. Im Flugzeug genauso. Unter normalen Umständen hätte er direkt neben mir gesessen und sich mit Vincent und mir den Mund fusselig geredet.
Er wich mir ganz offensichtlich aus. Verständlich. Ich hatte ihn seit zwei Tagen, seit diesem verhängnisvollen Samstag, nicht mehr gesehen. Zwischen uns herrschte definitiv Anspannung. Und ich wünschte mir zutiefst, dass das endlich vorbeiging und wieder Normalität einkehrte. Ich liebte Jules. Nur eben platonisch. Und weil er Vincents bester Freund war, würde er auch immer eine große Rolle in meinem Leben spielen.
Ich ging gedanklich noch einmal zurück zu der Szene in seinem Zimmer, versuchte, das Ganze objektiv zu betrachten. Für mich hatte es sich angefühlt, als würde ich Vincent küssen. Ich hatte die Augen geschlossen und wirklich das Gefühl gehabt, er wäre es gewesen. Das Bild, das ich nun vor mir sah, war von mir in Jules’ Armen. Wir hielten uns fest umklammert in dem
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