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Von den Sternen gekuesst

Von den Sternen gekuesst

Titel: Von den Sternen gekuesst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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Körper, bisher hatte ich es nur noch nie gespürt, ohne dass er in der Nähe war. Und gerade jetzt war das Verlangen, ihn zu berühren, von ihm berührt zu werden, stärker denn je. Vielleicht lag es daran, wie unmöglich die Erfüllung dieses Wunsches war. Doch ich spürte, dass noch etwas Tieferes dahintersteckte. Wir hatten noch nicht miteinander geschlafen, weil es sich bisher nicht richtig angefühlt hatte. Aber die Konfrontation mit Vincents permanentem Verlust an den Tod hatte mir gezeigt, dass ich bereit war. Dass ich die Frage, sollte sie sich noch einmal stellen, mit Ja beantworten würde.
    In dem Versuch, mir meine unerfüllbaren Sehnsüchte aus dem Kopf zu schlagen, schnappte ich mir Tasche und Schlüssel und steuerte die Zimmertür an, als mir plötzlich mein Handy in den Sinn kam. Ich hatte es nach unserer Ankunft nicht aus dem Koffer geholt, weil ich mir nicht sicher gewesen war, ob ich damit in Amerika überhaupt Empfang hatte. Noch dazu … wen wollte ich damit schon anrufen?
    »Warte mal, Vincent. Ich werfe noch eben einen Blick auf das Foto«, sagte ich, zog das Handy hervor und setzte mich damit aufs Bett. »Ich weiß nicht mal, ob es überhaupt was geworden ist, schließlich war es in der Halle ziemlich dunkel und ein Handyblitz hat nicht gerade Profiqualität.«
    Ich tippte auf das Kamerasymbol und schon tauchte es auf, das letzte Bild, das ich gemacht hatte. Und es war ziemlich gut geworden. Die Ecken waren etwas dunkel, weil der Blitz eben so schwach war, aber der Mittelbereich der bemalten Wand war gut zu erkennen. Ich vergrößerte die Aufnahme mit den Fingerspitzen und suchte den richtigen Ausschnitt.
    »Mein Gott, Vincent! Siehst du das?«
    Ja! , sagte er. In der Größe ist die Schrift schwer zu lesen, aber ich schätze, dass man auf dem Laptop deines Großvaters wirklich etwas erkennen könnte.
    »Na, worauf warten wir dann noch?«, stieß ich hervor.
    Papy und Bran saßen mit leeren Tassen über einen Zettel gebeugt. Als Papy mich kommen sah, goss er mir aus einer Kanne demonstrativ frischen Kaffee in die Tasse, die zu dem Gedeck neben ihm gehörte.
    »Keine Zeit für Kaffee!«, sagte ich. »Das Foto aus dem Archiv ist richtig gut geworden! Ich brauche deinen Laptop, Papy!«
    Mein Großvater gab mir seinen Zimmerschlüssel und bereits wenige Minuten später war ich mit dem Rechner zurück. Schnell schloss ich das Handy an, wartete, bis das Bild auftauchte, markierte den Bereich mit dem Gemälde der Zeremonie und schnitt ihn aus.
    »Das Motiv ähnelt der Darstellung auf der Urne wirklich sehr«, stimmte Papy zu.
    »Kannst du den Text irgendwie noch etwas vergrößern?«, bat Bran meinen Großvater und lehnte sich näher zum Computer.
    Ich zoomte die Schrift heran, bis sie den ganzen Bildschirm ausfüllte. Papy übersetzte den Text aus dem Lateinischen und Bran schrieb gleich mit.
    Figur aus Lehm ist nur Substitut,
    bis ein Anverwandter vergießt sein Blut.
    Menschenatem erweckt zum Leben,
    des Toten Asche wird Gestalt gegeben.
    Sobald sich diese Umstände einfinden,
    werden kalte Flammen alles verbinden.
    Der körperlose Geist gewinnt Form,
    die wandernde Seele ist wiedergeborn.
    »›Des Toten Asche‹? Ist damit wirklich Vincents Asche gemeint?«, fragte ich. Eiskalte Sorge durchfuhr mich.
    »Ich schätze, das ist die naheliegende Interpretation«, sagte Papy. Er räusperte sich und wirkte unangenehm berührt. »Können wir irgendwie an Vincents Asche kommen?«
    »Das bezweifle ich stark«, antwortete ich. »Es ist ja schon ein paar Tage her, seit Vincents Körper verbrannt worden ist.« Mir war schlecht. Es wollte mir einfach nicht in den Kopf, dass wir so weit gekommen waren, nur um uns jetzt einem unlösbaren Problem gegenüberzusehen.
    »Vielleicht hat Violette etwas von seiner Asche zurückbehalten. Zu welchem Zweck auch immer«, schlug Bran zaghaft vor, doch er schien selbst nicht daran zu glauben.
    Nein , ganz sicher nicht , hörte ich Vincent sagen. Ich war dabei, als einer von Violettes Leuten meine Asche in eine Tüte gefüllt und dann in den Müll geworfen hat. Eins meiner entsetzlichsten Erlebnisse, wenn ich ehrlich bin.
    Ich gab diese Information an Papy und Bran weiter, die beide verstummten.
    »Asche«, wiederholte ich nachdenklich. »Dafür steht also vermutlich das Symbol mit der Kiste.«
    Papy nickte. »Erinnerst du dich an die Szene auf der Urne? Die Figur mit der Fackel hielt eine Kiste in der anderen Hand. Das ist wirklich einleuchtend. Die Asche Verstorbener

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