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Von der Liebe, linken Händen und der Angst vor leeren Einkaufskörben

Von der Liebe, linken Händen und der Angst vor leeren Einkaufskörben

Titel: Von der Liebe, linken Händen und der Angst vor leeren Einkaufskörben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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jetzt ist nicht der Augenblick, weitere Katastrophen heraufzubeschwören und auch noch in Mystik zu verfallen.
    Ah, ihr habt einen Zeugen, dass ist was anderes. Drei Zeugen sogar? Ich frage mich, ob ihr die Situation nicht ein bisschen ausnutzt, aber gut, ich bin sehr für Gerechtigkeit, sie sollen hereinkommen. Ich werde mir ihr Urteil anhören. Ihr seht, ich bleibe ganz ruhig auf meiner Ruderbank sitzen und verliere auch unter diesen geradezu johannischen Umständen nicht die Beherrschung (seht nicht so gebannt auf diesen Prozess, schaut lieber mal im Großen Larousse nach, das Wort »johannisch« bedeutet: alles, was sich auf Jeanne d’Arc bezieht, der Gerichtshof, die Stimmen, der Feuertod, dieser ganze Zirkus. Nein, nicht Patella ‒ Pucelle, die Jungfrau, beides hat nichts miteinander zu tun, Himmelsakrament, was wisst ihr bloß über Geschichte). Ah, ihr wünscht, dass ich die Zeugen anhöre, schon gut, ich lasse das Rudern sein, ich schweige, ich höre zu, ich bin ganz Ohr mit meinen symmetrisch auf beiden Seiten des Kopfes sitzenden Ohren. Ich schweige, ich höre das Urteil an.
    Ich hätte zu viel geredet.
    Ah, sehr gut. Ich allein? Seid ihr sicher? Und niemand sonst wäre zu Wort gekommen? Tagelang? Seid ihr euch wirklich dessen bewusst, was ihr da behauptet? Nun, wenn ihr sicher seid, ist das was anderes.Dann ab mit euch über Bord samt Rettungsring. Nein? Vereidigte Zeugen stößt man nicht ins Wasser? Ah, das wusste ich nicht, hat mir niemand gesagt.
    Seid ihr wirklich überzeugt, dass niemand etwas in den Wein gemischt hat? Auch nicht, indem er unbemerkt seinen Ring öffnete?
    Wenn ihr davon überzeugt seid, ist das was anderes, dann will ich mich nicht beschweren. Zurück auf die Ruderbänke und legt euch in die Riemen, wir haben durch diesen johannischen Prozess enorm viel Zeit verloren. Ach so? Es ist verboten, einen vereidigten Zeugen zum Rudern anzustellen? Gut, darüber war ich nicht informiert.
    Und das Urteil? Es ist meine Schuld? Ich habe zu viel geredet? Blindlings drauflos? Ich habe Schindluder getrieben mit meinen Worten? Und mit euren Ohren? Ein Jahr Umerziehung? Obendrein mit der Verpflichtung nachzudenken ? Ihr scherzt, nehme ich an.
    Nein, ihr scherzt nicht, so lautet das Gesetz, nun gut, ich beuge mich. Zumal H. mir gerade ein Briefchen von meiner Schwester überbringt, worin sie sich durchaus nicht gegen Eine Minute Nachdenken, ja sogar zwei ausspricht. Als Künstlerin hat sie von Natur aus immer recht, ihr glaube ich blind, respektieren wir sie.Das Feuer im Kessel droht auszugehen, wir schleichen nur noch so dahin, das ist normal. Die Meuterei wütet in unseren Reihen, dieses johannische Urteil hat mich schon ein wenig niedergeschmettert, alle wollen gleichzeitig reden, man versteht sein eigenes Wort nicht mehr. Es sieht so aus, als ob ich auf keinerlei mildernde Umstände hoffen darf, auch nicht auf einen (Achtung, Durchzug von gleichzeitig drei Konzepten: Leere der Wörter, Tyrannei der Rede, Bedeutungslosigkeit der Übertreibung, seid so nett und reicht mir mal eure Sirupflasche). Dabei schien mir, als wären wir bald am Ziel. Doch jetzt verstehe ich besser, warum wir nur noch achtzehn Leute an Bord sind. Ich hatte mich doch gefragt, wieso unsere Kampfstärke sich dermaßen reduziert hat. Das wird jetzt klar. Alles ist in dieser Akte festgehalten, die sie mir zum Ende des Prozesses ausgehändigt haben: Mahlstrom-Effekt des Wortes, Überschreiten der Angemessenheitsgrenze, Blockierung des Widerhalls. So was vergraule die willigsten Mitstreiter, heißt es in dieser Akte. Dennoch muss ich sagen, dass ihr auch nicht sehr widerstandsfähig seid.
    Ja, ich weiß, sie haben vereidigte Zeugen. Ich habe pausenlos geredet, ich habe meine Schiffsbesatzung verloren, hört auf, mir das ständig zu wiederholen,meine Stimmung ist ohnehin schon auf Halbmast. Und wir haben Donnerstag und fast 17 Uhr. Wir segeln dem Sieg entgegen. Der Befriedung der Welt. Das Scheitern des Unternehmens zeichnet sich geradlinig vor uns ab. Zum Glück habt ihr still und leise einhundertvierzehn Konzepte geschluckt, das tröstet mich, so ist doch nicht alles verloren. Und glaubt mir, die werden euch noch von Nutzen sein.
    Es ist natürlich auch eure Schuld, ich klage ja niemanden an, aber es gehören immer zwei dazu, wenn ein Paar zerbricht. Ihr hättet mir ins Wort fallen sollen, mit der Faust auf das Dollbord schlagen, an den Masten rütteln, die Sicherheitsschleusen schließen sollen, die Normen der Normalität

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