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Von der Liebe verschlungen

Von der Liebe verschlungen

Titel: Von der Liebe verschlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delilah S. Dawson
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ich.
    »Ich denke, du schuldest mir was«, antwortete sie, steckte die behandschuhten Hände in ihre Taschen und wippte auf den Fersen vor und zurück. So langsam verstand ich, warum sie Casper so viele Probleme machte – immer wenn ich dachte, ich sei mit ihr einen Schritt weitergekommen, machte sie etwas derart Lächerliches, dass ich mir ihren Kopf direkt wieder auf ein Tablett wünschte. Ein Schritt nach vorn, zwei zurück, und jetzt steckte sie tiefer in der Klemme, als ihr klar war.
    »Gib sie sofort zurück, und ich versuche, dich nicht auszubluten.« Ich rang um Fassung, und Caspers Hand strich fast unmerklich über meine Taille, eine Erinnerung an den schmalen Grat, auf dem ich wandelte.
    »Ist nur noch einer übrig, aber ich mache es gut, indem ich für die U-Bahn bezahle.« Damit hielt sie eine Hand voller Münzen hoch, und ich verfluchte mich selbst dafür, dass ich sie vor der Schneiderei allein gelassen hatte. Sie konnte von Glück sagen, dass man sie nicht verhaftet hatte. Aber wir hatten schon genug Aufmerksamkeit auf uns gelenkt, also sagte ich nur: »Na schön«, und nahm drei Münzen von ihrer Hand, wobei ich darauf achtete, das fleckige Leder ihrer Handschuhe nicht zu berühren.
    Schweigend gingen wir durch das Drehkreuz und stiegen in den Waggon. Als wir uns auf der mit Federbüschen verzierten und mit Samt bezogenen Sitzbank niederließen, war von Keen nur ein geflüstertes: »Heiliger Strohsack!« zu hören. Ich war bei meinem ersten Mal auch beeindruckt gewesen. Die Tunnel sahen wie Katakomben aus, aus altem Ziegelstein, mit Totenköpfen und Knochen, die in komplexen Mustern dort eingemauert waren. Der Zug selbst war so elegant wie der, der uns von Minks hierhergebracht hatte, mit wunderschönen Details und glänzendem Glas in Goldfassungen. Eine Violinistin in der Ecke hob ihren Bogen und bewegte sich im Takt ihrer Melodie, und Casper wurde vollkommen reglos, als schwermütige Musik erklang.
    »Das ist brillant«, hauchte er.
    »Willkommen in Moskovia«, flüsterte ich als Antwort.
    Wir passierten mehrere Stationen, stiegen an einer großartigen Haltestelle mit hohen Dachfenstern, enormen Kronleuchtern und funkelnden Mosaiken um und stiegen dann an der Haltestelle aus, in deren Nähe mein ehemaliges Kindermädchen Verusha seit ihrem Ruhestand lebte.
    »Hier will ich sterben, Lieblink«, hatte sie mir einst erklärt und sich dabei auf ihrer Lieblingscouch zurückgelehnt, umgeben von üppiger Seide und weichen Pelzen, »aber ich denke, es wird noch viele Jahre dauern, bis es so weit ist.«
    Da war sie gut über zweihundert Jahre alt gewesen. Und doch sagte mir etwas, dass sie es sich immer noch auf demselben alten Diwan gemütlich machte, ihrer Gobelinstickerei nachging, für die sie so berühmt war, und dabei eine ganze Heerschar an Schwiegertöchtern und Enkelkindern herumkommandierte. Und falls nicht – nun, damit würde ich mich befassen, wenn es so weit war.
    Einen Augenblick lang war ich geblendet von der Mittagssonne, die sich auf dem Marmor an der Außenfassade der Haltestelle widerspiegelte, und schützend hielt ich eine Hand vor meine Augen. Bald jedoch wurde mir klar, warum nur so wenige Leute mit uns ausgestiegen waren. Der einst prachtvolle Häuserblock mit Wohnungen für Pensionäre war zu etwas geworden, das zu scheuen man mich gelehrt hatte: eine Mietskaserne. Zwischen den Gebäuden waren Wäscheleinen aufgezogen, und an ihnen hingen alle möglichen unaussprechlichen Wäschestücke. Kleine Kinder und Hunde rannten herum. Der Wind trieb Abfälle über die Wege; etwas, das ich noch nie zuvor gesehen hatte, hauptsächlich deshalb, weil meinesgleichen nichts aß, das eingewickelt werden musste. Doch die Graffiti an den schmutzigen Wänden waren der Sargnagel zu meiner Hoffnung, Verusha leicht und zügig ausfindig zu machen.
    Pinko Bezirk
    Bluddies raus aus unserem Viertel!
    Das Volk wird aufstehen!
    Und so war ich nicht überrascht, als mich der erste Stein im Rücken traf. Ich wirbelte herum, doch es war nicht festzustellen, woher er gekommen war. Die Kinder waren verschwunden, und die Hunde standen wachsam da, Nackenfell gesträubt und Schwanz aufgestellt. Wie hatte meine Stadt in nur vier Jahren so tief sinken können? Und warum hatte Ravenna das zugelassen?
    »Kommt.« Ich ging zurück zur Haltestelle, so schnell es mir möglich war, ohne Furcht zu zeigen. »Sie ist nicht hier.«
    »Hey, Freund! Du musst nicht mehr vor ihr buckeln!«, rief jemand hinter geschlossenen

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