Von der Liebe verschlungen
und her, randvoll mit Energie.
»Das liegt nur daran, dass du noch nie einen gekostet hast.« Ich drehte mich zu ihm um und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Er machte eine gute Figur, keine Frage, und einen kurzen Moment lang dachte ich darüber nach, mich auf ihn zu stürzen und ihn zu küssen, bis er mich wieder auf das Bett warf. Aber – nein. Ich hatte ein Land zu retten. Ich hob seinen Umhang auf und drapierte ihn um ihn, sodass sein langes Haar, seine breiten Schultern und alles außer seinen Stiefelspitzen verborgen war. Sein alter Pinkiehut würde in einer Mülltonne landen. »Die meisten Bludtiere schmecken verdorben und fade im Vergleich zu Menschen. Wenn du nicht einen im Kampf besiegen und ihn dann mit dem Aroma des Sieges würzen kannst, wirst du den Geschmack widerlich finden.« Einen Augenblick sah ich ihm zu, wie er sich bewegte, und fuhr dann fort: »Du solltest dich aber etwas zurückhalten. Mit diesem Gang wirst du ungewollte Aufmerksamkeit von Seiten gefährlicher Männer auf dich lenken.«
»Es ist nicht meine Schuld, wenn ich wie ein Bludmann stolziere«, meinte er.
Ich sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an, er erwiderte meinen Blick und zog ebenfalls eine Augenbraue hoch, und dann brach er in schallendes Gelächter aus. Es war ein willkommener Laut. In all der Zeit, die wir zusammen verbracht hatten, hatte ich ihn betrunken, hin- und hergerissen, wütend, verängstigt, wollüstig und beinahe lebensmüde erlebt. Aber glücklich hatte ich ihn noch nie gesehen. Bis jetzt.
Meine Stiefel standen noch an der Tür, und ich genoss es, wie leicht sie sich schnüren ließen, wenn man kein Korsett trug. Zu Hause im Palast hatte ich mir nie selbst die Schuhe zugeschnürt, daher hatte die Reihenfolge, in der ich mich anzog, nie eine Rolle gespielt. Aber auf der Maybuck hatte ich gelernt, dass schlaue Mädchen erst die Schuhe und dann das Korsett anzogen und es beim Ausziehen umgekehrt machten. Die ersten paar Male war es eine fast unmögliche Aufgabe für mich gewesen, die beiden Teile allein anzuziehen, doch mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt.
Meine Mutter wäre in Ohnmacht gefallen bei dem Gedanken, dass ich mir die Schuhe selbst schnürte oder mein Haar selbst frisierte. Sie war gut über hundert Jahre alt gewesen und hatte ihr Haar kein einziges Mal geschnitten. Es war offen bis fast auf den Boden gefallen, und die Dienerinnen hatten sich hinter ihrem Rücken immer darüber beschwert, wie viel Aufwand es war, es zu waschen, zu trocknen und zu immer komplizierten Frisuren zu arrangieren, die den modischen Maßstab für ganz Frostland setzten. Der Gedanke, wie Ravenna das geliebte Haar der Zarina geschändet haben musste, war schmerzvoll, von ihrem Körper gar nicht zu reden.
Nach der Vorstellung meiner Mutter hatte eine gute Herrscherin genau so wie ihr Haar zu sein – dekorativ und irritierend. Ich war dazu erzogen worden, zu herrschen, und das bedeutete hauptsächlich, in verschiedenen Palästen zu wohnen, sich zurückzulehnen, sich zu beschweren und bösartig zu sein. Von meinem derzeitigen Standpunkt aus erschien mir das ziemlich kleingeistig. Doch selbst wenn ich nicht mit ihrem altmodischen und übermäßig grausamen Herrschaftsstil übereinstimmte, so war sie doch besser gewesen als Ravenna. Die emporgekommene Zigeunerschlange hatte ihre Herrschaft auf Mord gegründet, die Barone abgesetzt und ließ nun die Pinkies ungebremst randalieren. Zwar konnte ich ihr ultimatives Ziel nicht verstehen, aber soweit ich sehen konnte, wollte sie alles zerstören, wofür Frostland stand.
Und was war aus dem armen Alex geworden, meinem nahezu animalischen jüngeren Bruder? Er hatte von Geburt an geknurrt und gebissen und sich seitdem nie wirklich verändert. Während jeder andere im Palast zwei bis drei Phiolen pro Tag trank, oder manchmal auch ein paar gemäßigte Schlucke von einem bereitwilligen Dienstboten zu sich nahm, war er heißhungrig und benötigte zehnmal so viel Blut, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen. Wenn er genug Blut bekam und in guter Verfassung war, zeigte er sich überaus höflich und kultiviert. Er schrieb weitschweifige Briefe an Brieffreunde in Konstantinobel und Melburn, zeigte großes Interesse an den Hunden und fand Gefallen an der Falknerei. Wir spielten miteinander Schach und planten imaginäre Ausflüge. Olgha und ich waren immer Rivalinnen gewesen, aber mit Alex war ich immer gut ausgekommen, solange er gut genährt war. Ohne genug Blut jedoch wurde er
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