Von der Liebe verschlungen
Er ging mit mir, wie schon den ganzen Morgen, nachdenklich und geduldig, und ich knurrte leise. Das, was ich ihm gleich zeigen würde – er musste es sehen, und zwar sofort.
Wir gingen durch den langen Korridor, vorbei an einer Tür nach der anderen, ohne stehen zu bleiben und die weltbekannte Sammlung dekorativer emaillierter Emu- und Straußeneier zu bewundern. Als ich durch die letzte Tür rechts stürmte, folgte er mir. Ich trat zur Seite, und er blieb abrupt stehen und flüsterte: »Jesus Christus.«
»Da«, sagte ich. »Siehst du?«
Der Saal war in Weiß und Blau gehalten, und ein riesiges Gemälde in doppelter Lebensgröße dominierte den Raum. Der Künstler hatte mich perfekt getroffen, auf ewig siebzehn. Ich blickte aus dem Goldrahmen, irgendwie hochmütig und unschuldig zugleich. Mein Gesicht hatte immer noch einen Anflug von Kindlichkeit, doch mein Hals war bereits graziös geformt. Mein Haar war hoch aufgetürmt, der zu der Zeit geltenden Mode entsprechend, mit Ausnahme eines langen eleganten Zopfes, gebunden mit einem Samtband und mit dunkelgrauen Perlen besetzt, der über meine Schulter nach vorn bis zur Taille fiel. Mein Kleid hatte einen Schnitt, der bereits aus der Mode war, schwer mit Perlenstickerei in der Form von schimmernden Pfauenfedern. Ich erinnerte mich noch immer an die Erregung, als ich es anprobierte, wie schwer und erwachsen es sich anfühlte, und die Schleppe, die sich über den Boden hinzog. Ich hatte mich auf der Stelle gedreht und dann Verusha umarmt, dafür dass sie dem Schneider die Anweisung gegeben hatte, den Ausschnitt genauso perfekt zu fertigen wie bei meiner Mutter.
Das Bild zeigte eindeutig mich, und ich saß eindeutig auf einem Thron und trug eine schwere Krone, die mit einem Saphir von der Größe meiner Faust besetzt war. Das Collier um meinen Hals befand sich gegenwärtig in Verushas Obhut und die eine Hälfte der Steine, die auf dem Gemälde überlebensgroß glitzerten, waren längst abhandengekommen. Auf der gravierten Plakette, die auf dem Gemälde angebracht war, stand: »Prinzessin Ahnastasia Feodor.«
Wie er mich daraufhin ansah – es war, als würde ihm jetzt endlich klar, dass ich nicht nur ein Findelkind aus einem Koffer war. Rein theoretisch hätte er es auch vorher schon glauben können. Wohl hatten wir auf dasselbe Ziel hingearbeitet und bewegten uns zusammen unter meinem Volk. Er nannte mich Ahna und Prinzessin – aber nur, um mich zu necken. Und meine Geschichte mochte vielleicht auch einen Sinn ergeben. Doch in diesem Moment sah ich, wie ihn die Erkenntnis mitten ins Herz traf, die ungeheure Tragweite, wer ich war, und wogegen wir antreten wollten.
Und vielleicht war es auch ein wenig beunruhigend für ihn, zu erkennen, dass er vor kurzem mit einem Nationalheiligtum geschlafen hatte.
»Es ist ein wunderschönes Gemälde«, sagte er vorsichtig.
»Ich galt damals als große Schönheit. Sehr vielversprechend. Schon seit ich zwölf war, erhielt ich regelmäßig Heiratsangebote, doch keiner war gut genug.«
»Du warst atemberaubend damals, das ist wahr.« Er drückte meinen Arm. »Aber jetzt gefällst du mir noch besser.«
Ich fühlte, wie heiße Röte in meine Wangen schoss und mir ein kurzer Schauer über den Leib lief. Eine Hand fest an meinem Rücken, zog er mich an sich und küsste mich sanft. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um seinen Kuss zu erwidern, meine Hände leicht auf seinen Schultern und meine Hüften an ihn gedrückt auf eine Weise, die gestern noch ganz unschuldig erschienen wäre. Sein Kuss wurde inniger, und gerade wurde es richtig schön, als ein Wachmann, den ich gar nicht bemerkt hatte, sich räusperte. Wir fuhren auseinander, und ich verbarg mein Gesicht an Caspers Schulter.
»Zeigt etwas Respekt vor der Bludprinzessin«, schalt der alte Bludmann barsch, seinen Hut in der Hand.
Ich riskierte einen Blick auf den alten Mann, indem ich durch Caspers Haar hindurchspähte. Die unverhohlene Trauer in seinen Augen konnte ich nicht ignorieren.
»Glauben Sie, man wird sie jemals finden?«, fragte Casper.
»Ich bete jeden Tag, dass das geschieht«, antwortete der Wachmann. »Armes Mädchen.«
Casper nickte mit ernsthafter Miene. »Möge Eure Hoffnung erhört werden«, sagte er förmlich, mit dem Respekt, den man von einem geborenen Bludmann erwarten würde. Dann verließen wir leise den Saal, und sein Arm schirmte mein Gesicht ab. Ich hörte den alten Mann seufzen, lange und traurig. Als ich mich an der Tür kurz umdrehte,
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