Von der Liebe verschlungen
sagst.« Er sah mich aus schmalen Augen an, und ich zuckte unschuldig mit den Schultern. »Trotzdem, nimm das hier. Unfälle können wir uns nicht leisten.«
Er gab mir eine weitere Phiole, eingewickelt in fettiges Zeitungspapier. Ich war nicht hungrig, schaffte es aber dennoch, sie zu leeren. Mit jedem Tropfen Blut wurde ich stärker, und ich würde alle Kraft brauchen, die ich bekommen konnte, um mich Ravenna entgegenzustellen.
Kurz darauf kam das Gefährt rumpelnd zum Stehen, und wir stiegen aus. Ich war die Letzte. Der Fahrer kauerte über dem Lenkrad mit einem Klemmbrett in der Hand und sah mich finster an. Er trug mehr Kleidung als jeder andere, den ich bisher gesehen hatte, als würde wildes Bludvolk durch die Moore streifen und nur darauf warten, ihn anzugreifen. Ich stellte mir vor, dass er wie ein Schuh riechen musste, wenn er je all dieses Leder auszog.
»Sie sind die Letzte, Miss?«
»Ja, Sir«, antwortete ich liebenswürdig. »Eine bezaubernde Reise.«
Seine schlammbraunen Augen blinzelten, als er mich durch seine Schutzbrille überaus überrascht ansah.
»Oh, ja nun, danke sehr, Miss«, brummelte er. »Ich wünsche Ihnen eine schöne Zeit in Dover.« Dann trottete er zurück ins Fahrzeug und murmelte vor sich hin: »Verfluchte Handelsreisende. Wahrscheinlich liegt der Bursche betrunken unter den Sitzen.«
»Lass uns verschwinden.« Ich zupfte Casper am Arm, um der Menge zu den hohen Stadttoren von Dover zu folgen. Keen sah mich mit einem misstrauischen Blick aus schmalen Augen an. Ich lächelte und zeigte ihr die Zähne.
Die Wache an der Stadtmauer überprüfte unsere Papiere, und wir folgten unseren Mitreisenden in die Hafenstadt, als gerade das Licht der Morgendämmerung auf die müden weißen Gebäude darin fiel. Ich hielt mich nahe an Casper und war dankbar für seine Hand an meinem Ellbogen in dem Meer aus Fremden, die alle eilig in Richtung der Docks strebten. Langsam gewöhnte ich mich daran, dass die Leute mich anrempelten und mir auf die Füße traten. Die ganze Zeit über hielt ich mir die Nase zu, sowohl wegen des Gestanks als auch wegen des Blutes. Und dann fühlte ich plötzlich ein Zupfen an meinem Ärmel.
»Das hier hast du im Bus fallen lassen«, flüsterte Keen und drückte mir etwas in die Hand.
Es war das schmuddelige Taschentuch des Handelsreisenden, noch immer nass von Blut.
10.
D as gehört mir nicht, Keen.«
»Habe ich nie gesagt … Anne.«
Ich ließ das Taschentuch fallen und blieb kurz stehen, um es mit meinem Absatz in das schmutzige Kopfsteinpflaster zu treten. Casper drückte mit den Fingern gegen meinen Ellbogen und drängte mich, mit der Menge Schritt zu halten. Mit einem schweren Seufzer zog er mich näher an sich und klemmte meinen Arm fest an seine Brust. Ich war zu überrascht, um mich zu wehren.
»Schau, es ist ganz einfach. Sieh niemanden an. Sprich mit niemandem. Falle nicht auf. Deine Aufgabe besteht darin, von aller Welt unbemerkt zu bleiben. Das machen schüchterne Pinkies so.«
»Ich werde einfach so tun, als seist du mein Dienstmann, und ich hätte dich angewiesen, alles in meinem Namen zu arrangieren.« Ich tätschelte seinen Arm. »Dienstmann, mach es so!«
»Ich werde so tun, als seist du ein Kind, auf das ich aufpassen muss, und das meiste von dem, was du sagst, ignorieren«, antwortete Casper, während er mich weiter führte, aber ich konnte hören, dass er dabei ein Lachen unterdrückte.
»Oh, und wenn ich ungehorsam bin, was wirst du dann tun?« Ich grinste. »Mir einen Klaps auf die Hand geben oder mich im Verlies anketten?«
»Ist das ein Angebot?« Seine Worte klangen scherzhaft, aber sein Tonfall war düster, und er drückte meine Hand mit mehr Kraft, als ich erwartet hatte.
»Dazu müsstest du mich erst einmal erwischen.« Meine Stimme klang dunkel und rauchig, während ich seinen Händedruck erwiderte und fühlte, wie seine Fingerknochen aneinanderrieben. Er zuckte nicht einmal zusammen, aber ich hatte meinen Standpunkt klargemacht. Wie oft musste ich ihn noch daran erinnern, dass ich eine erwachsene Frau war und nicht das Kind, dem ich so ähnelte?
Hinter uns gab Keen ein dramatisches Seufzen von sich. Ich warf einen Blick hinter mich und entdeckte das kleine Monster, wie es mir mit einem jetzt noch schmutzigeren, blutigen Taschentuch zuwinkte. Dann beherrschte sie also die Kunst der Erpressung; ich konnte nur hoffen, dass ihr Preis nicht zu hoch wäre. Und offenbar hatte sie auch die Kunst des Taschendiebstahls gemeistert,
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