Von der Liebe verschlungen
Mit meiner Zunge fuhr ich eine Spur von seinem Ohr abwärts an die Stelle, wo seine Halsschlagader knapp unter der Oberfläche lag. Dort ließ ich meine Lippen verweilen, um den Augenblick zu verlängern. Er summte, vollständig in meinem Bann.
Und dann biss ich zu.
Bevor er auch nur das leiseste Stöhnen von sich geben konnte, lag meine Hand schon über seinem Mund, während ich ihn mit dem anderen Arm fest an mich drückte. Wäre irgendjemand aufgewacht und hätte uns gesehen, so hätte er lediglich zwei junge Leute erblickt, die hinten in der Bank an ihren Unterkleidern herumfummelten, eine Situation, die in ungehobelter Gesellschaft sicherlich nichts Neues war. Trotzdem rutschte ich in meinem Sitzplatz ein wenig nach unten, für den Fall, dass der Fahrer gerade in diesem Moment den Blick von seiner verschlafenen Reise über die einsamen Moore heben sollte.
Der Mann wehrte sich, aber für die Kraft einer Bludfrau war er kein Gegner, nicht einmal für ein so junges und geschwächtes Ding wie mich. Ich trank, in immer tieferen Zügen, und verdrehte die Augen vor Wonne. Als ich so voll war, dass mein Bauch schon unangenehm gegen das Lederkorsett drückte, leckte ich mir über die Lippen und zog das schmuddelige Taschentuch aus seiner Tasche, um damit die kleine Träne abzuwischen, die meine Zähne an seinem Hals hinterlassen hatten.
»Welch reizende Unterhaltung«, flüsterte ich in sein schmutziges Ohr.
Dann stand ich auf und ließ ihn auf den Sitz sinken. Noch immer schlief alles. Ich hatte einen der Ihren nur wenige Meter von ihnen entfernt getötet, und es hatte nicht einmal das regelmäßige Atmen der Schlafenden gestört. Ich drehte der weit entfernt und größtenteils verdeckt liegenden Fahrerkabine den Rücken zu und öffnete die hintere Tür. Es war kein ungewöhnliches Ereignis, dass eine Dame einen Nachttopf leerte, der unter ihren voluminösen Röcken verborgen war. Ich hatte Derartiges selbst mehrere Male gesehen, und der Duft von Blut in den Wangen der Frauen hatte mir von ihrer Verlegenheit und Essbarkeit gesungen. Ein Panzerbus hielt nicht an, egal wofür, und ganz besonders nicht für volle Blasen. Ich hatte sorgfältig darauf geachtet, jedes Mal wegzusehen, wenn jemand etwas Unaussprechliches hinaus in das Grasmeer beförderte. Kein Wunder, dass die hintersten Sitze leer gewesen waren.
Ich nutzte meine weiten Röcke, um den Gang zu blockieren, als ich den Körper des Mannes hinauswarf und seinen Koffer hinterher. Das Röhren des Motors und das Knirschen der Gleisketten übertönten jedes Geräusch, als er auf dem Boden aufschlug. Dann schloss ich die Tür, wischte mir die Hände an meinem Rock ab und ließ mich wieder auf meinem Sitzplatz nieder.
Vielleicht waren öffentliche Transportmittel doch nicht so übel.
***
Seltsamerweise konnte ich nicht wieder einschlafen. So warm, traumverloren und zufrieden ich mich auch fühlte, war da doch etwas, das mich, metaphorisch gesprochen, ständig am Ärmel zupfte. Nicht weiter überraschend bei so vielen Sorgen. Als die anderen Passagiere aufwachten, hielt ich sorgsam die Augen danach auf, ob irgendjemand das Fehlen des Handelsvertreters bemerkte, doch nichts dergleichen geschah. Nicht dass er mich noch beschäftigte – er war Beute gewesen, und gefährliche Beute noch dazu. Vielleicht hatte ich damit sogar die Tugend irgendeiner anderen, etwas unschuldigeren Reisenden bewahrt. Während draußen die Sonne aufging, blutrot an einem grauen Himmel in der Farbe von Blutergüssen, versuchte ich, den ganzen Vorfall aus meinem Gedächtnis zu streichen.
Als dann eine leichte Veränderung seiner Atmung darauf hinwies, dass Casper langsam aufwachte, stellte ich mich schlafend.
»Anne?«, flüsterte er über den Rand seines Sitzes.
»Hmph?«
»Hast du gut geschlafen?«
»Du meine Güte, ich glaube schon. Das Motorengeräusch und das Rumpeln der Gleisketten wirken recht einschläfernd, findest du nicht auch?«
»Du siehst aus, als hätte dir der Schlaf gutgetan.« Er betrachtete prüfend mein Gesicht, schien aber zu zögern, näher zu kommen. »Ich hatte mir Sorgen gemacht, dass die Nacht für dich … schwierig werden könnte. Wenn man bedenkt.«
Ich schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln und schnippte mit den Fingern. »Schwierig? Du liebe Zeit, nicht doch. Ich musste mich mein ganzes Leben lang in Selbstbeherrschung üben. Das hier ist gar nichts.« Dabei hoffte ich, er würde die kleinen Blutstropfen an meinem Ärmel nicht bemerken.
»Wenn du das
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