Von der Liebe verschlungen
gehasst. Es war ein unangenehmes Gefühl, von Geschöpfen gehasst zu werden, die mich in meiner Jugend beinahe verehrt hatten, selbst wenn ich mich an ihnen nährte. Die Pinkies in Sang waren so anders als die in Frostland.
Ich schaute hinüber zu dem Passagier, der mir am nächsten saß, und versuchte, jenseits des Blutes die Person dahinter zu sehen. Es war ein junger Mann in der Uniform eines Seemannes. Er saß schräg vor mir, und sein alberner weißer Hut ging bis über seinen Nacken hinab und war mit Knöpfen an seinem marineblauen Jackett befestigt. Nervös und voller Furcht ließ er den Blick durch das Gefährt schweifen und atmete keuchend, als führte er gerade einen verlustreichen Kampf gegen den Kinnriemen seiner Uniform. Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Ich konnte seinen Schrecken riechen, so sicher, wie ein Falke ein Küken in seinem Nest ausmacht. Dieser Junge hatte sich in London höchstwahrscheinlich darüber geärgert, so eingepfercht zu leben, dann wahrscheinlich bei seinen Freunden und seiner Liebsten damit geprahlt, dass er zur Marine gehen und die exotischen Orte in Sang zu sehen bekommen würde. Und jetzt war er wie gelähmt vor Angst vor der Welt da draußen. Er roch nach toten Pflanzen und billiger Seife. Wie ein Bauer eben.
Aber vor allem roch er nach Blut. Süß, warm und voll. Ich konnte es in seinem Atem riechen; ich konnte den winzigen Fleck auf seiner Wange sehen, wo er sich heute Morgen beim Rasieren geschnitten hatte. In meinem alten Leben hätte er sich an dem Platz befunden, der ihm gebührte, nämlich auf Knien vor mir, gesäubert und angemessen gekleidet, sein Haar richtig gescheitelt, und mit großer Vorsicht und vornehmer Zurückhaltung hätte ich mir genommen, was mir zustand. Stattdessen atmete ich tief ein und presste mir das fettfleckige Zeitungspapier gegen die Nase, während ich mich dazu zwang, nicht an Nahrung zu denken. Nach vier Jahren des Hungers und nur einigen winzigen Phiolen war er immer noch mehr Vorspeise denn Person.
Wenigstens rochen Casper und Keen nicht so gut für mich. Sie war zu schmutzig und von zu vielen Kleidungsschichten umgeben, und er hatte diesen merkwürdigen Gestank an sich, der mich an etwas erinnerte, das ich einmal gelesen hatte. Dass wilde Tiere um ihren Bau herum urinierten und damit ihr Territorium als Warnung für andere markierten. Aber wer hatte ihn markiert? Und was in Sang hatte Casper geritten, mich zu küssen? Und wieso machte mich das eher neugierig als wütend?
Die verschiedensten Gefühle tobten in mir, Trauer, Verlust, rasende Wut und Hunger – und das tiefe, pochende Verlangen nach Rache. Und dann war da noch etwas anderes, eine weich wirkende Wärme, die von der Schulter, die Casper gerade gedrückt hatte, auszugehen schien. Einen Moment lang sah ich den sanften Schimmer seines Haares über dem Rand seines Sitzes, doch dann gab er ein verträumtes Seufzen von sich und glitt aus dem Blickfeld. Ich wandte den Kopf zum Fenster und versuchte, die eigenartige Sehnsucht zu ignorieren, die an meinem Herzen nagte, dort, wo doch keine Sehnsucht existieren sollte.
Ich sah, wie die Graslandschaften vorbeizogen, die gleichmäßige Dunkelheit der Moore draußen, nur unterbrochen vom Licht der Sterne, das gelegentlich auf ein Wäldchen, auf eine verlassene Stadt oder auf Gehege von Bludhäschen fiel. Langsam fielen mir die Augen zu. Und schließlich schlief ich ein.
***
Eine Bewegung weckte mich, und mit ihr der Geruch von Nahrung, gefährlich nahe. Aber ich verweigerte mich der Bestie in mir, hob nur ein Augenlid und spähte unter meinem Arm hindurch, im vollen Bewusstsein dessen, wo ich war und was auf dem Spiel stand.
Ein Mann saß mir gegenüber, auf dem Sitz, der vorher leer gewesen war. Er stank nach Wein. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, lehnte er sich nach vorn und zischte: »Oi, hübsches kleines Ding.«
Rasch verschaffte ich mir einen Überblick über meine Umgebung. In der schwachen Beleuchtung des Gefährts konnte ich durch den Zwischenraum der Sitze vor mir Keens Kopf sehen, der an Caspers Schulter ruhte; und wenn ich mich konzentrierte, konnte ich sie beide langsam und gleichmäßig atmen hören. Die Welt draußen war stockdunkel, nicht ein Schimmer Licht. Im gesamten Fahrzeug war nichts als leises Schnarchen zu hören, und die Luft war erfüllt von dem warmen, wohligen Duft pulsierenden Blutes.
»Bist du wach, Liebchen?«, zischte der Mann und gab durch die Zähne kussähnliche Laute von sich, diesmal
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