Von der Liebe verschlungen
eigentümlicher, geduldiger Hunger. Ich konnte den Blick nicht abwenden. Ein kurzer, fremdartiger Schauer lief mir über den Rücken, wie das Vibrieren klingender Saiten, und ich musste mich auf meine Atmung konzentrieren, um mich nicht selbst zu verraten. Niemals Schwäche zeigen. Niemals zuerst blinzeln.
Er löste die Anspannung zwischen uns, indem er mir sein Lächeln mit den Grübchen wie einen Dolch entgegenwarf und sagte: »Also, trinkst du jetzt, oder was?«
»Natürlich«, war alles, was ich herausbrachte.
Aber ich wandte den Blick nicht von ihm, als ich trank. Ich stellte mir vor, es sei sein Blut auf meiner Zunge, heiß und feucht. Er erwiderte mein Starren mit einem düsteren Grinsen, bei dem ich mir wünschte, ich könnte seine Gedanken lesen. Zwei Schlucke, und die Phiole war leer, und er sah zu, wie ich mir über die Lippen leckte. Alles in allem hatte die ganze Szene etwa zwanzig Sekunden lang gedauert – und sich intimer angefühlt als der Augenblick, in dem ich den Burschen im Bus leergetrunken hatte, während seine Hand an meinem Oberschenkel zuckte.
»Ich sehe, Cora hat dir das Kleid gebracht.«
Ich ließ beinahe die Phiole fallen, als ich sie zurück in die Kiste setzte. Mit dem Rücken zu Casper sagte ich: »Sie war sehr … hartnäckig.«
Ich war mir nicht sicher, wie viel ich Casper erzählen sollte. In meinem früheren Leben hatte ich mich nur meinem alten Kindermädchen Verusha anvertraut. Wäre ich Casper auf meinem eigenen Territorium begegnet, hätte ich ihn wahrscheinlich innerhalb von Augenblicken getötet oder geschlagen. Doch jetzt und hier, gefangen auf der Maybuck , war er das, was einem Verbündeten am nächsten kam. Und wenn es stimmte, was Cora gesagt hatte, dann gab es in der Welt noch so viel mehr, als ich wusste. In dem dunklen Zimmer ohne eine Taschenuhr hatte ich keine Ahnung, wie viel Zeit mir noch bis Mitternacht blieb, doch es gab Dinge, die ich wissen musste – und zwar schnell.
Das Einzige, was ich tun konnte, war beichten, und mein Geständnis platzte Hals über Kopf aus mir heraus.
»Cora will, dass ich sie verwandle.«
Sein Blick wurde schärfer. »Wirklich?«
»Ich wusste gar nicht, dass das möglich ist. Und ich weiß auch nicht, wie man das macht. Aber wenn ich es nicht tue, dann will sie Miss May erzählen, was ich bin.«
»Hat sie gesagt, warum sie verwandelt werden will?«
»Sie sagte, sie sei ein Halbblud, und dass sie das beinahe wahnsinnig macht. Und sie sagte, mein Teil bei dem Vorgang wäre schmerzhaft. Ist das alles wahr?«
Einmal hatte ich meiner Mutter in Bezug auf Feen dieselbe Frage gestellt, und mir entging nicht, dass all die falschen Dinge sich als real entpuppten. Er hatte die Augenbrauen herabgezogen, als schmerzte es ihn, darüber zu reden.
»Es ist wahr.« Er warf einen Blick auf den Wandschrank, wo die Kiste noch immer Dutzende mit Blut gefüllte Phiolen enthielt. »Es ist eine üble Sache. Egal, ob Halbbluds geboren oder gemacht werden, die meisten von ihnen wollen einfach verwandelt werden und ihr Leben weiterführen, ohne den unerträglichen Hunger und den unausweichlichen Wahnsinn. Gibt es in Frostland denn keine Halbbluds?«
»Absolut nicht«, erwiderte ich ungehalten. »Man würde sie als Abscheulichkeit ansehen. Seit den Tagen der Blutlosen Revolution sind die Grenzen zwischen Bludvolk und Menschen sehr streng. Ein Adeliger im Palast würde ebenso wenig Blud mit einem Menschen teilen, als du einem Hund deinen abgetrennten Finger in einer Schale servieren würdest.«
»Interessanter Vergleich.«
»Ich wusste nicht einmal, dass es möglich ist«, sagte ich, hauptsächlich zu mir selbst. Und nun, inmitten all meiner anderen Probleme, musste ich mich fragen, was man bei meiner privilegierten Erziehung noch alles gezielt ausgelassen hatte.
»Es gilt nicht als höfliches Konversationsthema.« Er lehnte sich an die Wand und verschränkte die Arme. Plötzlich wurde mir bewusst, dass er gerade mehr Haut von mir zu sehen bekam als je zuvor. Sein Blick verweilte an meinen Schultern, und mir lief eine Gänsehaut über die Arme. Noch einmal stöberte ich im Wandschrank nach … irgendetwas. Ich hatte keine Besitztümer, aber irgendwie musste ich meine Hände und Augen beschäftigen, während seine Stimme das kleine Zimmer füllte. In einem Nest aus Abfällen und Plunder fand ich Keens Messingkugel und rollte sie zwischen meinen Händen hin und her, während Casper nachdachte. Das Ding war schwer und hatte überall eingravierte
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