Von der Liebe verschlungen
bog.
Die Tür war nur einen winzigen Spalt offen, und im Zimmer war Keen, und sie weinte. Ich war unsicher, wie ich mich ihr nähern sollte, also spähte ich durch den Türspalt. Casper sah mich über die bebenden Schultern des Mädchens hinweg finster an. Sie hatte ihren Kopf in sein Hemd vergraben und wandte mir den Rücken zu. Ihr weißes Gewand hatte einen hässlichen Riss am Halsausschnitt, bei dessen Anblick sich mir die Nackenhaare aufstellten.
»Du hättest auf mich aufpassen müssen. Du hättest da sein sollen!«, weinte sie; sie hatte einen merkwürdigen Akzent.
»Ich wusste es nicht, Herzchen«, flüsterte er mit demselben Akzent, ohne den Blick von mir zu wenden. »Ich musste Ahna helfen.«
»Die braucht dich nicht. Sie ist ein verdammter Dracula. Aber ich bin ein Mensch, Cas. Und dieser Bastard wollte mich begrapschen.«
Er zuckte zusammen. »Ich glaube mich zu erinnern, dass du mir gesagt hattest, ich solle dich in Ruhe lassen. Und dass ich nicht dein Dad bin.«
Keen riss sich von ihm los und stolperte. Sie keuchte, und ihre Schulterblätter bebten. Sie hielt den zerrissenen Ausschnitt des dünnen weißen Gewandes umklammert, als sie antwortete: »Du bist genauso dumm, wie er war. Denkst du, ich sehe nicht, was passiert ist? So naiv bin ich nicht. Du bist nicht mehr derselbe wie damals, als du mich gefunden hast. Du hast mich gerettet. Aber ich kann dich nicht retten. Vielleicht kann sie es. Aber mich wirst du verlieren. Gott, das ist alles so beschissen. Wie ein Disneyfilm oder so was. Dämliche Prinzessinnen.«
Sie hatte mich noch immer nicht entdeckt. Casper zog sie wieder in seine Arme, und sie brach in haltloses Schluchzen aus. Ich konnte nicht einschätzen, wie alt sie war, aber noch nie hatte sie so klein, verloren und zart gewirkt wie jetzt, an ihn gedrückt, wo sie mit weißen Fäusten schwach gegen seine Brust trommelte.
Dann sah sie auf in sein Gesicht und folgte seinem Blick direkt bis zu mir.
»Natürlich, du bist auch da«, sagte sie in ihrem üblichen sanglischen Akzent. »Kannst uns nicht einmal einen Augenblick Privatsphäre lassen, oder?«
Ich erstarrte. »Ich habe nicht darum gebeten, hier zu sein.«
Sie schnaubte, und mein Mitgefühl für sie löste sich auf. Das weinende Kind war verschwunden, und an seiner Stelle sah mich das Schmuddelkind mit hartem Blick an. »Wir auch nicht. Aber es ist ja nicht so, als würden wir versuchen, dich mit zurück in unsere Welt zu schleppen, oder?«
»Mein Land ist in Gefahr.« Ich krümmte meine Finger zu Klauen und knirschte bei jedem einzelnen Wort mit den Zähnen. »Das hier ist kein Spaß und keine Vergnügungsreise. Das Leben tausender Leute steht auf dem Spiel. Vielleicht bist du nicht vertraut mit Verantwortung. Politik. Familie. Vielleicht hast du vergessen, dass meine Eltern und meine Schwester ermordet wurden?«
»Du willst mir erzählen, wie es ist, seine Familie zu verlieren? Allen Ernstes?« Sie ließ den sanglischen Akzent völlig fallen und kam auf mich zu, als sei ich keine Bludfrau, sondern einfach nur irgendetwas, das ihr im Weg stand. »Du hast keine Ahnung, wer ich bin und was ich durchgemacht habe. Du bist die selbstsüchtigste, arroganteste und gemeinste Schlampe, der ich je begegnet bin, und ich habe immerhin die letzten paar Jahre an einem Ort gelebt, wo kleine Kinder einem für ein Stück Brot die Kehle durchschneiden. Du wirst mir nicht das Einzige wegnehmen, das ich noch habe.«
Die Bestie in mir verstummte und betrachtete sie. Und Casper wandte den Blick nicht von mir.
»Ich will –«, begann ich.
»Was? Was willst du? Nehmen, was du brauchst, und zur Hölle mit dem Rest? Hast du jemals darüber nachgedacht, wie es für uns ist, oder darüber, wie –«
Ich fauchte, lang und tief.
»Das reicht, Keen.« Casper zog sie wieder an seine Brust, woraufhin sie sich noch einer Runde bebenden Schluchzens ergab. Auch sein Akzent hatte sich leicht verändert. Runder, weicher. Milde, wie Sonnenschein am Nachmittag. Eindeutig nicht Sangland.
Mit einem Nicken deutete ich auf Keens Gewand. »Du bist nicht die Einzige, die angegriffen wurde. Cora hat versucht, mich zu erpressen. Sie will verwandelt werden.«
»Was?« Keen sah schockiert zwischen mir und Casper hin und her.
Casper nickte. »Ich weiß davon.«
»Aber ich habe dir nicht erzählt, dass sie mir noch eine dritte Wahlmöglichkeit angeboten hatte. Dass sie Miss May alles erzählt, dass ich sie verwandle, oder … dass ich mich ihr hingebe.«
Beide
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