Von der Liebe verschlungen
Gefühlen.
Noch während ich mich unruhig hin- und herwälzte, schlich Keen sich wieder ins Zimmer und rumorte noch etwas im Wandschrank herum, bis schließlich kindliche Schnarchlaute zu hören waren. Noch später hörte ich Caspers Stiefel auf dem Boden und das leise Geräusch seines Jacketts, das auf den Schreibtisch glitt. Dort in beinahe völliger Dunkelheit hielt er inne, und ich gab mein Bestes, mich schlafend zu stellen. Ich war neugierig, ob er den Unterschied erkennen konnte, und – falls er es konnte – begierig, was wir einander zu sagen haben könnten. Nacheinander ließ er seine Finger knacken, wie es seine Gewohnheit war. Und dann hörte ich ihn seufzen und auf den Boden gleiten. Selbst mit den Pelzen und Teppichen darauf konnte es dort nicht bequem sein. Aber da ich nicht vorhatte, ihn in mein großes, bequemes Bett einzuladen, erschien es mir sinnlos, mich deshalb schlecht zu fühlen.
Ich lauschte seinen Atemzügen, gleichmäßig und tief in den Schatten, und ertappte mich dabei, wie ich unwillkürlich tief Luft holte und zugleich mit ihm ausatmete, und mich so mit seinem Körper abstimmte. Und noch bevor ich irgendeine Schlussfolgerung ziehen konnte, was das wohl bedeuten mochte, war ich eingeschlafen.
***
Ich wachte im Dunkeln auf, und das Erste, was ich im Licht einer leuchtenden Uhr sah, war Casper, der auf dem Boden schlief. Ich lag auf der Seite, mein Arm hing über den Bettrand, und seine ausgestreckte Hand war beinahe nahe genug, um mich zu berühren. Du liebe Aztarte, hatte ich etwa im Schlaf seine Nähe gesucht? Ich zog meinen Arm so schnell zurück, dass er abrupt aufwachte.
»Ahna? Stimmt was nicht?«
Ich ließ mich zurück in die Kissen fallen und suchte krampfhaft nach etwas, das ich sagen konnte.
»Wo kommt denn diese Uhr her?« Es war das Erste, was mir einfiel.
»Nachdem du hier drin gefangen bist, dachte ich mir, du hättest vielleicht gern ein wenig Licht in der Dunkelheit und eine Möglichkeit, zu sehen, ob es Tag oder Nacht ist. Es muss verwirrend für dich sein.«
Er setzte sich auf, rieb sich die Augen und fuhr mit der Hand durch sein vom Schlaf wirres Haar.
»Ich brauche frische Luft«, grummelte ich. »Ich habe doch erheblich unterschätzt, wie beengt und stickig eine fensterlose Kabine ist. Hier drin kann man ja kaum atmen.«
»Eigentlich solltest du das Zimmer nicht verlassen.« Er schien verwirrt von meiner Nörglerei, und mir ging auf, dass es vielleicht seine Hand gewesen war, die meine gesucht hatte.
»Bei Tageslicht sollte es doch sicher für mich sein. Werden dann nicht alle schlafen?«
»Es gibt keine Zeit auf der Maybuck , die sicher für dich wäre«, antwortete er düster. »Aber wenigstens hast du Zeit, dich auszuruhen und wieder zu Kräften zu kommen, bevor du dich Ravenna stellst. Ich habe noch nie gehört, dass jemand, nachdem er ausgeblutet wurde, so lange überlebt hätte.«
»Meine Mutter sagte immer, ich sei schwer umzubringen.« Mit einem Seufzen fuhr ich über mein geschorenes Haar. »Weißt du, es ist komisch. Inzwischen habe ich viermal den Ball des Zuckerschnees in Frostland versäumt. Meine Verehrer werden weitergezogen sein. Ich habe meine besten Jahre schon hinter mir, verglichen mit anderen Prinzessinnen.« Ich seufzte. »Ich bin eine alte Jungfer.«
»Anne.«
Er stand auf und zwang mich, zu ihm aufzusehen.
Was ich in seinem Gesicht las, ließ mich erröten. Ich war dankbar, dass er nicht die Augen eines Bludmannes hatte, der im Dunkel meine Reaktion sehen könnte.
»Ahna. Du bist keine Prinzessin mehr. Du bist eine Königin. Du weißt doch, wie entzückend du bist, oder nicht?«
»Ich fühle mich nicht wie ich selbst.« Ich wandte den Blick ab und spielte mit den Hermelinschwänzen an einem Kissen. »Das ist nicht mein Haar. Das sind nicht meine Kleider. Ich gehöre hier nicht her. Ich treibe nur so dahin.«
»Wir alle treiben dahin«, sagte er. »Du musst nur an den Punkt kommen, wo es dir nicht mehr so viel ausmacht.«
»Aber ich wurde aufgezogen, um jemand Besonderes zu sein. Um etwas Besonderes zu tun. Ich war immer … außergewöhnlich.«
»Ich auch. Und heute Nacht werde ich ein verstimmtes Cembalo spielen, während reiche Männer auf einem Zeppelin mehr schlecht als recht mit Prostituierten tanzen. Und dabei werde ich mir Sorgen um zwei Damen machen, die mich zum Großteil hassen, aber im Guten wie im Bösen in meiner Obhut sind.« Er beugte sich vor, um das Licht anzumachen und mir in die Augen zu sehen. »Miss May
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