Von der Liebe verschlungen
kleinen Dolch in die Höhe.
»Nimm das, und wenn irgendjemand versucht, dich zu zwingen, benutze ihn«, sagte sie zu Keen. »Aber das hast du nicht von mir.«
Keen steckte den Dolch in ihren Stiefelschaft.
»Ich habe auch gar nichts gehört«, sagte sie.
***
»Da sind wir.« Keen hielt am Fuß der Treppe kurz inne. Dahinter konnte ich einen schmalen Streifen des Nachthimmels sehen. Das letzte Mal an Deck war ich mit Blut besudelt gewesen und hatte dabei geholfen, einen bewusstlosen Piraten loszuwerden. Um ehrlich zu sein, machte mir das Abendessen mehr Angst. Ich konnte Caspers Musik hören, als Hintergrundgeräusch zu Konversation, Kichern und dem Klirren von Gläsern. In einer ungewöhnlichen Demonstration von Solidarität hakte ich mich bei Keen unter und stieg mit ihr die Treppe zum windigen Deck hinauf.
Aus irgendeinem Grund hatte ich ein Bankett wie im Eispalast erwartet. Natürlich war das dumm von mir. Ein Abendessen auf der Maybuck war eine chaotische und kitschig aufgedonnerte Sache, und alle Pailletten der Welt würden nichts anderes daraus machen als eine Ausrede für dreistes Herumhuren.
»Sieh an, die Nichte des Maestros hat endlich beschlossen, sich uns anzuschließen.« Miss May überfiel uns hinterrücks an der Tür mit einer Umarmung an ihrem üppigen, nach Lavendel duftenden Busen. Die Lederkörbchen ihres Korsetts drückten sich schmerzhaft in meine Haut. »Wie gefällt Ihnen Ihr Zimmer, Miss Carol?«
Nach einem Augenblick der Verwirrung erinnerte ich mich daran, dass sie mit mir redete.
»Ich entdecke in mir den Wunsch nach mehr Fenstern«, antwortete ich und tat so, als habe sie mich nicht soeben dabei erwischt, dass ich ihre wichtigste Regel brach. »Und obwohl es meine Jungfernfahrt auf einem Luftschiff ist, bin ich überrascht, festzustellen, dass es sich gar nicht so anfühlt, als hätten meine Füße den festen Boden verlassen.«
Miss May warf den Kopf in den Nacken und lachte gackernd. »Oh, du liebe Zeit. An diesem alten Boot ist nichts Jungfräuliches, und ist es nie gewesen. Aber der Maestro erzählte mir, er hätte Ihnen die Bibliothek gezeigt. Wenn das nicht genug Freiheit für Sie ist, werden Sie selbst ein paar Passagiere aufnehmen müssen, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Meine Nichte ist vollkommen ausgebucht.« Caspers Arm legte sich um mich wie ein eiserner Schraubstock.
Miss May hob die Augenbrauen. »Der Aufenthalt auf der Maybuck wird sie ganz sicher etwas entkrampfen, auf die eine oder andere Art. Nun, dann sorge dafür, dass du mit einigen der Herren hier tanzt, Mädchen, und vielleicht erhältst du ja den einen oder anderen Groschen.« Sie winkte mit der Hand in Richtung der Männer, die auf dem Deck herumlümmelten.
»Du tanzt mit keinem einzigen von denen«, knurrte Casper mir ins Ohr, und der Griff seiner Hand über meiner wurde stärker.
Er zog mich weg von Miss May, und zum ersten Mal, seit wir an Bord gekommen waren, erhielt ich einen Überblick über das gesamte Deck. Es war aufgemacht wie die Bühne für ein Schauspiel, mit gemalten Meerjungfrauen, Meeresungeheuern und Korallen, welche die diversen aufgebauten Nischen kaschierten, die sich windende Körper vor neugierigen Blicken abschirmen sollten. Statt eines großen Tisches gab es einige kleinere entlang der Reling, sodass jede Menge Raum für engumschlungene Pärchen blieb. Und an der anderen Seite des Decks stand ein langes Glasgefäß, etwa taillenhoch. Darin lagen Steine und immer wieder blitzten Flossen auf. Daneben spielte ein betagtes Grammofon eiernd einen Walzer, der Caspers Talent in keiner Weise das Wasser reichen konnte.
Das Deck war wundervoll, aber es erschien mir wie eine Verschwendung, da die reichen Kunden eindeutig nur wegen der Frauen hier waren. Wie meine Mutter oft gesagt hatte: »Warum das Mädchen kaufen, wenn man das Blut kostenlos haben kann?«
Gerade wollte ich Casper danach fragen, als eine vertraute Stimme fragte: »Amüsierst du dich gut, Anne?«
Coras kühle Hand glitt über meine Schulter und drückte meinen Arm. Ich prallte zurück und knurrte.
»Bis gerade eben, ja.«
Casper legte seinen Arm noch etwas fester um mich, als wir sie ansahen.
»Die Profis sind zu teuer für Sie, also müssen Sie sich das greifen, was umsonst zu haben ist, eh, Maestro?« Sie beugte sich zu ihm und flüsterte: »Qualität hat ihren Preis, weißt du.« Damit strich sie sich über ihre kurzen schwarzen Haare und fuhr mit den Händen wissend an ihrem Kleid herab.
»Diamanten und
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