Von der Liebe verschlungen
einer Bevölkerung, die überwiegend aus Bludvolk besteht, gibt es kaum Bedarf an Landwirtschaft. Wir wissen unsere Menschen zu schätzen.«
»Offenbar nicht genug, um ihnen Rechte einzuräumen.«
»Man sollte meinen, du wärst dankbar.« Ich deutete auf ihre Aufmachung. »Du hast nichts. Du bist nichts. Aber ich habe große Macht, und wenn ich wieder eingesetzt bin, wirst du alles haben, was du dir je gewünscht hast.«
»Das ist eine gottverdammte Lüge, und das weißt du ganz genau! Ich habe ein Leben , und ich will nicht diese Imitation eines Lebens, von der du denkst, dass ich sie brauchen würde. Wir hatten es gut, ich und der Maestro. Alles war gut, bevor du aufgetaucht bist.«
»Tut mir leid, dass ich beinahe ermordet aufgewacht bin und deine glückliche Familie durcheinandergebracht habe«, gab ich, ohne nachzudenken, zurück. Doch sofort bedauerte ich meine Worte.
»Wir waren nicht glücklich . Ich weiß nicht einmal mehr, wie es sich überhaupt anfühlt, glücklich zu sein. Aber wir hatten ein Zuhause, und wir hatten uns. Es war Sicherheit. Und jetzt jagst du uns quer über den Globus, und wir sind umzingelt von grapschenden Idioten, die ständig versuchen, mich auf ihren Schoß zu zerren, und ich hasse es.« Der letzte Teil kam als verzweifeltes Knurren heraus, und ich konnte sehen, dass sie unter ihrer tapferen Maske am Ende ihrer Kräfte war, genau wie ich, weil ich hier eingesperrt war.
»Ich wollte nie, dass irgendwas von all dem passiert, das weißt du. Ich bin ebenso sehr ein Opfer wie du. Am Ziel dieser Reise wartet ein Kampf auf mich, den ich vielleicht nicht gewinnen werde. Und ich darf noch nicht einmal diesen jämmerlichen kleinen Würfel von einem Zimmer verlassen.«
Sie setzte sich auf den Stuhl, Beine weit gespreizt, wie ein Mann, in ihren schmuddeligen Hosen. »Sagt wer?«
»Wie bitte?«
»Wer sagt, du darfst hier nicht raus? Du kannst doch genau jetzt zur Tür hinausmarschieren.«
»Miss May hat das ziemlich deutlich gemacht. Und Casper –«
»Casper ist nicht hier. Und er ist nicht unser Boss.«
Keen grinste böse, und ich tat es ihr gleich. Sie hatte recht. Bald würde ich Zarina von Frostland sein. Da konnten mich die Drohungen einer Puffmutter und eines Musikers doch nicht aufhalten.
»Was schlägst du vor?«
»Ich schlage vor, wir erscheinen uneingeladen zum Abendessen.«
»Das kann ich aber nicht in diesem … Fetzen.« Ich hielt den raschelnden Seidenrock meines Kleides hoch.
Keens Grinsen wurde breiter. »Du warst noch nie bei der Schneiderin, oder? Komm mit.«
Damit packte sie mich tatsächlich bei meiner behandschuhten Hand und zog mich mit sich zur Tür hinaus und über den Flur. Ich hatte Angst, dass wir jemandem begegnen würden, doch die Flure waren leer. Nur Augenblicke später schob sie mich durch eine unauffällige Tür.
»Schon so bald zurück?«, fragte eine Frau. Sie saß auf einem gepolsterten Schemel, war topmodisch gekleidet und trug Vergrößerungsgläser und nähte einen Knopf an einem Rüschenrock an. Ein Uhrwerkinsekt, das an einer Brosche an ihrer Schulter festgebunden war, summte um ihren Kopf. Ich erkannte die freundliche ehemalige Hutmacherin mit dem wunderschönen Hütchen wieder, die ich beim Abendessen an meinem ersten Abend auf dem Schiff kennengelernt hatte.
»Kann sie etwas ausleihen, Kitty?«, fragte Keen. »Anne braucht etwas, das ein wenig mehr …«
»Stofflastig ist?«, fragte die Frau mit einem Augenzwinkern, und ich nickte. »Bedien dich, meine Liebe.«
Es war ein Vergnügen, mir meine Kleidung wieder selbst auszusuchen. Im Zimmer befand sich ein voller Kleiderständer neben dem anderen, und obwohl das meiste davon eher freizügige Kleider waren, von der Art, wie die Mädchen der Maybuck sie bevorzugten, fand ich doch in einer Ecke eine Auswahl züchtigerer Modelle. Unwillkürlich fragte ich mich, ob das die Kleider waren, die Frauen trugen, wenn sie neu auf die Maybuck kamen, bevor sie lernten, Haut zu zeigen.
Hinter einer spanischen Wand quetschte ich mich in ein neues Korsett und schlüpfte in ein einfaches Kleid aus dunkelblauem Samt. Kitty hielt nicht inne in ihrer Arbeit und hielt den Blick gesenkt, was ich ihr hoch anrechnete. Während ich die Taille hochschnürte und eine Schleife an dem züchtigen Ausschnitt zuband, wurde mir der tiefe Ausschnitt am Kleid der älteren Frau nur umso mehr bewusst. Ich holte tief Luft und nahm den köstlichen, würzigen Duft von Blut wahr, der von ihrer Haut ausging. Sie sah auf, als
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