Von der Liebe verschlungen
verwehten im starken Wind. Ich sah nach unten und spannte meine Zehen an. Es würde nicht mehr lange dauern, bis wir in die Bäume stürzten. Von hoch oben hatten sie ausgesehen wie Moos oder eine grüne Bettdecke, doch je näher wir kamen, umso deutlicher war die Gefahr auszumachen. Scharfe schwarze Äste, zerbrochen und schartig, reckten sich uns entgegen. Das Herabfallen war so surreal, dass ich ganz vergessen hatte, Angst zu haben. Doch er hatte recht – mein Körper war viel schwieriger zu verletzen und leichter zu heilen als ihre beiden. Meine Höhenangst galt unter Bludleuten als eher ungewöhnlich.
»Ich weiß nicht –«, fing ich an, und er legte seinen Arm um Keens Kopf und schrie: »Dann finde es raus!«
Ich zerrte an dem Seil, das uns zusammenhielt, aber es gab nicht weiter nach. Mit einem frustrierten Seufzen tastete ich mich an der Innenseite von Caspers Mantel entlang. Zuerst zuckte er zurück, doch als meine Finger sich um den Knauf des Messers in seinem Gürtel schlossen, verstand er. Ich zog es heraus, schrie: »Halte sie fest!« und schnitt das dünne Seil mit einer schnellen Aufwärtsbewegung durch.
Keen kreischte auf, als ihr Körper nach unten sackte, aber Casper fing sie auf. Ich hangelte mich eilig an seinem Körper entlang nach unten, bis meine Arme um seine Knie geschlungen waren und meine Röcke frei waren und sich aufbauschten. Die Bäume waren nur noch Sekunden von uns entfernt und ich erkor einen robust aussehenden Ast als Ziel aus und machte mich auf den Aufprall gefasst.
Meine Stiefel trafen auf Holz, so fest, dass der Schock durch meinen ganzen Körper ging. Ich versuchte, Casper und Keen mit meinen Armen abzufedern und ihnen das Schlimmste des Aufpralls zu ersparen. Sie trafen mich seitlich, und meine Absätze schlitterten über die Rinde und wir fielen weiter in die Tiefe. Keens Schrei gellte mir in den Ohren. Ich fiel seitwärts gegen einen Baumstamm, Casper prallte auf mich, und dann stürzten wir alle nach unten in einem heillosen Durcheinander aus Fallschirmschnüren, Leder und Gliedmaßen.
Ich prallte zuerst auf dem Boden auf. Irgendein Fuß traf meinen Kopf und ich plumpste dankbar in die taufeuchten Kiefernnadeln. Es war ein alter Wald mit einer dicken Schicht davon auf dem Boden, und ich versank darin und atmete das scharfe Aroma und den Duft der schweren, schwarzen Erde ein. Es war nicht meine Heimat, aber ich war schon nahe dran.
Stöhnend und ächzend rollten Casper und Keen von meinem ramponierten und schmerzenden Körper. Keen stürzte in den Wald davon, den Fallschirm immer noch ungeöffnet auf dem Rücken, und rief: »Klo!« über ihre Schulter. Casper und ich waren ineinander verwickelt, mein Fallschirm hatte sich in den Bäumen verfangen und seiner lag auf dem Boden. Sanft wand er mir das Messer aus der Hand, das ich immer noch fest umklammert hielt und völlig vergessen hatte. Aztarte sei Dank, dass ich niemanden damit auf dem Weg nach unten aufgeschlitzt hatte.
Doch – halt. Ich konnte es riechen. Caspers Blut, an dem Messer, und in winzigen Perlen aus einem kleinen Schnitt durch sein Hosenbein, in Oberschenkelhöhe. Ich beugte mich zu ihm hinüber, mit offenem Mund, und hatte schon das Bild in meinem Kopf, wie es sich heiß auf meine Zunge drängte. Furcht macht mich immer hungrig.
»Ahna.« Seine Stimme klang erschöpft und warnend.
»Ich brauche nur ein wenig.« Ich schluckte verzweifelt. »Du verlierst sowieso Blut. Da kannst du es auch für einen guten Zweck einsetzen.«
Er ließ sich auf den Rücken fallen und schnitt sich den Fallschirm von der Brust. »Na gut. Ist jetzt auch egal. Aber keine Zähne.«
Zwar schränkte der Fallschirm meine Bewegungen noch immer ein, aber ich hatte genug Spielraum, um auf die Knie zu gehen und seinen Ledermantel beiseitezuschieben. Ich drückte meinen Mund auf den Schnitt in seiner Hose. Die Wunde war nicht besonders schlimm, auch nicht tief, nur ein Kratzer. Aber Blut war Blut, und ich drückte sachte die Wunde auf und fuhr mit der Zunge daran entlang. Er zuckte zusammen und stöhnte, und ich genoss den eigentümlichen Geschmack seines Blutes. Zu Anfang hatte der Geruch mich abgestoßen, doch mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt, und jetzt zog es mich an.
»Christus am Kreuze!«, schrie da Keen.
Sie stand halb hinter einem Baum, ihr Gesicht zu einer Maske von Abscheu und Hass verzogen, und ihr Hemd war mit Erbrochenem befleckt.
»Genug mit dem Theater, Keen«, antwortete Casper müde, ohne sich
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