Von der Nacht verzaubert
haben.
»Du, junger Mann ... Du hast bereits gegen die Regeln verstoßen, als du sie das erste Mal mit in dieses Haus genommen hast. Ich habe es keinem von euch je erlaubt, eine menschliche Geliebte mitzubringen. Du hast dieses Verbot auf unerhörte Weise missachtet.«
Meine Wangen glühten, aber ich war mir nicht sicher, ob das Wort »menschliche« oder »Geliebte« der Auslöser dafür war. Ich verstand rein gar nichts mehr.
»Was hätte ich denn machen sollen?«, wandte Vincent ein. »Sie hatte gerade mit eigenen Augen gesehen, wie Jules gestorben war. Sie stand unter Schock.«
»Das war die Aufgabe, die du zu lösen hattest. Du hättest dich von vornherein nicht mit ihr einlassen sollen. Jetzt kannst du zusehen, wie du diese Sache bereinigst.«
»JB, jetzt entspann dich mal«, warf Ambrose ein, lehnte sich zurück und legte seinen Arm auf die Rückenlehne der Couch — besser: auf die gesamte Rückenlehne der Couch. »Das ist doch nicht das Ende der Welt. Wir haben sie ausgiebig überprüft und festgestellt, dass sie definitiv keine Spionin ist. Außerdem ist sie nicht gerade der erste Mensch, der von uns erfährt.«
Jean-Baptiste warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
Der Mann, der sich als Gaspard vorgestellt hatte, ergriff das Wort und sprach mit ängstlicher Stimme: »Wenn es mir erlaubt ist, hier etwas klarzustellen ... Der Unterschied besteht darin, dass jeder andere Mensch, mit dem wir Umgang pflegen, persönlich ausgewählt wurde und aus Familien stammt, die Jean-Baptiste schon seit Generationen dienen.«
Generationen ?, dachte ich mit Schrecken. Ein eiskalter Finger strich mir über das Rückgrat.
»Wohingegen ich Sie«, fuhr Jean-Baptiste an mich gewandt fort, »seit nicht mal einem Tag kenne und Sie schon jetzt ungebeten in die Privatsphäre meiner Anverwandten eindringen. Sie sind hier über alle Maßen unerwünscht.«
»Meine Güte!«, rief Jules. »Halt bloß nicht mit deinen Gefühlen hinterm Berg, Grimod. Ihr Oldies müsst allmählich wirklich mal ein bisschen lockerer werden und lernen, euch zu öffnen.«
Jean-Baptiste tat so, als hätte er das nicht gehört.
»Was sollen wir denn jetzt machen?«, fragte Charlotte den Besitzer des Hauses.
»Ich bitte euch, hört auf damit. Passt mal auf«, sagte Vincent und atmete sehr flach. »Wir müssen uns einigen, weil uns das alle betrifft. Wer ist dafür, dass wir Kate einweihen?«
Ambrose, Charlotte, Charles und Jules hoben die Hand.
»Und was schlagt ihr vor?« Vincent richtete diese Frage an Jean-Baptiste und Gaspard.
»Das ist dein Problem«, antwortete Jean-Baptiste. Er fixierte mich noch ein paar Sekunden lang, machte dann auf dem Absatz kehrt, verließ schnellen Schritts das Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
A lso gut«, sagte Ambrose schmunzelnd und rieb die Hände aneinander. »Die Mehrheit gewinnt. Dann legen wir mal los.«
»Hier«, Charlotte zog zwei große Kissen vom Sofa und platzierte sie auf dem Boden. Sie setzte sich im Schneidersitz auf eins davon, lächelte mir zu und klopfte einladend auf das andere.
»Schon gut, geh ruhig«, versicherte Vincent mir, weil ich zögerte, und ließ meine Hand los.
»Kate«, sagte Jules, »du musst dir darüber im Klaren sein, dass nichts von dem, was du jetzt gleich hören wirst, dieses Zimmer verlassen darf.«
Vincent sprach langsam und bestimmt: »Jules hat recht. Unser Leben liegt in deinen Händen, sobald du eingeweiht bist, Kate. Ich zwinge nur ungern jemandem diese Verantwortung auf, aber die ganze Angelegenheit ist schon zu sehr aus dem Ruder gelaufen. Wirst du unser Geheimnis bewahren? Selbst wenn du ...« Ihm stockte der Atem. »Selbst wenn du heute gehst und dich entschließt, nie mehr zurückzukehren?«
Ich nickte. Alle warteten. »Ich verspreche es«, flüsterte ich. Mehr konnte ich nicht hervorbringen, denn ich hatte das Gefühl, mir würde ein Kloß von der Größe einer Pampelmuse im Hals stecken. Irgendetwas äußerst Merkwürdiges ging hier vor sich, aber ich hatte noch zu wenige Informationen, um zu erraten, was es war. Einzig das Wort »menschlich«, das Jean-Baptiste auf so abfällige Art benutzt hatte, und der Umstand, dass sowohl Vincent als auch Jules wiederauferstanden waren, deuteten daraufhin, dass ich ziemlich tief drinsteckte. Aber was mich am meisten gruselte, war der Fakt, dass ich nicht wusste, worin eigentlich.
»Jules, fang du an«, sagte Vincent und schloss seine Augen. Er sah mehr tot als lebendig aus.
Jules dachte kurz nach und hatte
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