Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
Runde des DFB-Pokals warf. Bis einer mit der Klarheit von vier Weißbier während des Uefa-Cup-Halbfinales gegen Zenit Sankt Petersburg – wo wir uns nichts dabei dachten, dem Club des Energie-Monopolisten Gazprom die Daumen zu drücken – erklärte, wir würden die Bayern nur hassen, um uns nicht selbst hassen zu müssen. Statt uns als Linke zu fragen, ob unsere Strategien deshalb gescheitert seien, weil es die falschen Strategien waren, oder aber die Welt in Ordnung sei, so wie sie ist, weil es keine bessere Welt gibt, kämpften wir immer noch gegen den Kapitalismus. Allerdings nicht mit dem Gewehr wie Che Guevara im Dschungel von Bolivien, sondern mit einem Bier in der Hand auf dem Sofa vor dem Fernseher.
Das war natürlich postmoderner Quatsch, aber als die Bayern beim Rückspiel in St. Petersburg mit 0 : 4 untergingen, saß ich alleine vor dem Fernseher. Der Bayern-Hass-Club hatte sich aufgelöst.
Soviel zu meiner Erfahrung mit Selbsthilfegruppen. Deshalb wollte ich in Zukunft bestimmte Fehler vermeiden: Ich würde die Treffen nicht mehr bei mir zuhause abhalten, weil ich keine Lust hatte, immer Bier und Knabberzeug besorgen zu müssen und anschließend mit dem Staubsauger die Erdnüsse aus den Polstern zu pulen. Auch konnte ich nicht einfach
ins Bett gehen, wenn es spät wurde, weil ich der Gastgeber war. Und es wurde immer spät. Wenn ich dann endlich im Bett lag, rief unter Garantie noch jemand an, um sich für die Erdnüsse zu entschuldigen, die ihm beim Torjubel zwischen die Polster gefallen waren, oder darüber zu klagen, dass die anderen ihn mobben würden, weil er bei einem wirklich sehenswerten Tor der Bayern spontan geklatscht hatte. Ganz zu schweigen von dem Typ, der nach dem Spiel einfach auf meinem Sofa sitzen blieb und in Tränen ausbrach. Nicht, weil die Bayern wie so oft schlecht gespielt und trotzdem gewonnen hatten, sondern weil ihn seine Frau verlassen hatte. Wegen einer anderen Frau.
In der neuen Selbsthilfegruppe, die ich gerade ins Leben rief, wollte ich deshalb nur einfaches Mitglied sein, ohne vorher zum Getränkemarkt fahren und nachher die Wohnung aufräumen zu müssen. Ich war selbst bedürftig. Deshalb schlug ich einen neutralen Treffpunkt vor, was einen regen E-Mail-Verkehr auslöste. Die Männer wollten sich in einer Kneipe treffen, die Frauen meinten, wir sollten einen Ort auswählen, an dem wir ungestört wären, während ich zu ahnen begann, auf was ich mich da eingelassen hatte: auf fünf ausgeprägte Individuen, die ihre Ratlosigkeit gegenüber dem unerbittlich nahenden 50. Geburtstag dahinter verbargen, dass jeder eine ganz genaue Vorstellung von der »Location« hatte, wo wir uns treffen sollten. Mich fragte übrigens niemand, was ich wollte, dabei hatte ich den Stein ins Rollen gebracht.
Eine der drei Frauen erklärte, sie könne wegen eines Bandscheibenvorfalls nicht auf Stühlen sitzen, deren Lehne einen größeren Neigungswinkel als 98 Grad hätte. Eine andere Frau wollte nur mitmachen, wenn sichergestellt wäre, dass niemand rauchen würde. Worauf sofort eine Mail von einem der beiden Männer zurückkam: Wenn er sich in der Gruppe öffnen solle, müsse er Gelegenheit haben, sich im Eifer des Gefechts eine Zigarette anzuzünden. Wenn ihr aber auf diesem Öko-Faschismus besteht, könnt ihr euch eure Selbsthilfegruppe
sonst wohin stecken! Worauf die angegriffene Frau antwortete, wenn das der Umgangston in der Gruppe sei, würde sie dankend verzichten. Ich konnte diese Frau mit dem Versprechen bei der Stange halten, natürlich gelte bei den Treffen striktes Rauchverbot – schon in meinem eigenen Interesse. Ich hatte mir vor sechs Monaten nach vielen Anläufen endlich das Rauchen abgewöhnt, war aber noch nicht gefestigt. Trotzdem kehrte immer noch keine Ruhe ein, denn im Gegenzug forderte die militante Nichtraucherin, wir sollten uns beim ersten Treffen auf eine Ethik-Charta einigen, in der wir verbindliche Standards für den Umgang miteinander festlegen würden. Worauf der Typ, der gerne mal eine raucht, zurückschoss: Sind wir die beschissene UNO?
Das Wort beschissen , schrieb die Nichtraucherin, sollten wir auf eine schwarze Liste setzen. Jeder, der trotzdem so ein böses Wort benutze, solle zur Strafe 5 Euro in ein Sparschwein werfen. Der Ball kam sofort zurück: Wollt ihr mir den Mund verbieten? mailte der Raucher. Und der andere Mann stellte die nicht ganz unberechtigte Frage, was wir mit dem Geld aus dem Sparschwein anfangen sollten. Wir könnten das Geld
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