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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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sahen schweigend zu, wie Jelena, die bereits in Hut und Mantel war, auf einem Servierwagen einen Laptop und einen Beamer in den Salon rollte.
    »Wir kämpfen gerade mit Mailand um eine wichtige Messe«, erklärte Ingrid, während sie den Laptop startete und eine Datei mit der Bezeichnung »49« anklickte. »Deshalb hatte ich auch keine Zeit, so ein schönes Blitzlicht vorzubereiten wie Thomas.« Ein aufmunterndes Lächeln in meine Richtung. »Ich werde euch stattdessen ein paar Bilder zeigen, die etwas über mein Leben erzählen. Ich hoffe, es klappt. Frauen und Technik …«
    Ingrid klickte das erste Bild ihrer Powerpoint-Präsentation an: Auf der weißen Wand über dem offenen Kamin, in
dem dekorativ angeordnete Holzscheite lagen, erschien das Cover des Stern , auf dem 1971 prominente Frauen bekannten, dass sie abgetrieben hätten.
    »Ich bin ein Kind des Feminismus, auch wenn ich zu dem Zeitpunkt, als dieser Stern erschien, noch mit meiner blonden Barbiepuppe spielte und davon träumte, eines Tages einen reichen Mann zu heiraten und ihm viele Kinder zu schenken.«
    Die Frauen lachten.
    »Heute wäre Alice Schwarzer stolz auf mich, denn ich habe das erreicht, wofür damals Frauen auf die Straße gegangen sind: Ich lebe finanziell unabhängig und habe Karriere gemacht in einem Männerberuf.«
    Das nächste Bild zeigte eine Frau mit einer großen Brille und einem schwarzen Doktorhut.
    »Bist du das?« entfuhr es Susanne.
    »Graduation in Harvard. Ich war die erste Deutsche, die an der Business School Examen gemacht hat.«
    Scheiße, dachte ich, hätte ich doch nicht die Tür geöffnet, als es klingelte. Harvard! Für mich hatte es zu einem Studienplatz in München gereicht, und den bekam ich nur, weil es für Germanistik damals noch keinen Numerus Clausus gab. Und warum gab es für Germanistik keinen Numerus Clausus? Weil brillante Leute wie Ingrid niemals etwas Abgedrehtes wie Germanistik studiert hätten.
    »Du warst in Harvard?!« Andreas, der von Jelena mit seinem Trolley, an dem ein Gepäckanhänger von Emirates flatterte, in den Salon geführt wurde, ließ sich außer Atem auf den freien Stuhl fallen. »Ich war als Postgraduate ein Jahr dort. Whisky mit Eis!« wandte er sich an Jelena, die endlich Feierabend machen wollte. »Und wenn’s noch was zu knabbern gäbe, wäre das nicht schlecht. Sie haben in dem verfickten Flieger genau eine Reihe vor mir den Service eingestellt. Wegen Turbulenzen. Aber ich sage euch, die Scheiß Airline schiebt die Turbulenzen nur vor, um Geld zu sparen. Wenn die in der Businessclass 30 Essen weniger pro Flug verteilen,
macht das im Jahr …« Andreas zückte sein iPhone und tippte Zahlen ein, bis er unsere vorwurfsvollen Blicke bemerkte. »Okay, keine Handys. Wohin kommen die zehn Euro?«
    Ein Wink von Ingrid, und Jelena kam mit einer chinesischen Lackdose. »Darf ich weitermachen, Andreas?«
    »Bitte!« Mit einer gönnerhaften Geste warf Andreas einen Zehner in die Dose und checkte Jelenas Figur, als sie den Salon verließ.
    Nächstes Bild: Ingrid mit drei gleichaltrigen Frauen, die alle Jacketts mit Schulterpolstern trugen, im Handelsraum der Frankfurter Börse.
    »Wie Eishockeyspieler sind wir damals rumgelaufen«, amüsierte sich Beate.
    »Ihr wolltet beweisen, dass ihr Verantwortung tragen könnt«, kommentierte der clevere Michael. »Jetzt beschwert euch mal nicht.«
    Alle lachten.
    »Wir vier waren die ersten Frauen auf dem Börsenparkett. «
    »Da durftest du dir bestimmt eine Menge dummer Sprüche anhören«, meldete sich Susanne. »Von wegen ›toller Arsch‹ und so.«
    »Ich hatte keinen tollen Arsch«, bekannte Ingrid auf ihre nüchterne Art, »aber vielleicht hat mir das den Arsch gerettet. Diese Frauen«, Ingrid fuhr mit der Maus über die lachenden Gesichter ihrer attraktiven Kolleginnen, »hatten wie ich an Top-Unis studiert und genauso gute Abschlüsse. Außerdem hatten sie alle einen tollen Arsch. Und während die Männer in meinem Beisein offen über ihre Affären plauderten, weil sie mich für einen der Ihren hielten, tappten meine Kolleginnen in die Babyfalle. Sie heirateten, wurden schwanger, bekamen das erste Kind, dann das zweite und zerrissen sich zwischen Küche und Karriere, bis eines Abends der Ehemann einen Taschenrechner holte und die ganze schöne Emanzipation Opfer einer einfachen Kalkulation wurde: Ich verdiene doch genug, Schatz, und die Kinder brauchen dich …«

    »Wo steht eigentlich geschrieben, dass Karrieremachen mehr wert ist als

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