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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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etwas kaputt gemacht hatten, und überlegten, wie sie es uns sagen sollten, damit die Strafe möglichst milde ausfiel.
    »Mama war mit einem jüngeren Mann im Kino«, überwand sich David. »Sie hat viel gelacht, obwohl der Film gar nicht lustig war. Auch so eine Sache, die ich irgendwie schade finde. In den letzten Filmen der Coen-Brüder bleibt der Humor auf der Strecke. Fing schon bei A Serious Man an, obwohl die Szene mit dem verrückten Rabbi …«
    »Ist mir auch schon aufgefallen«, versuchte ich David zu hindern, sich in weiteren filmischen Feinheiten zu verlieren, die mir in diesem Moment herzlich egal waren.

    »Jedenfalls«, fuhr David sich seinen Bart reibend fort, »war Mama so mit diesem Mann beschäftigt, dass sie mich nicht bemerkte, dabei saß ich nur ein paar Plätze weiter in derselben Reihe. Auch später nicht, als wir rausgingen, obwohl wir am Ausgang fast zusammengestoßen sind.«
    »Hatte dieser Mann lange Haare?« erkundigte ich mich vorsichtig.
    »Ja, wie Jeff Bridges als US-Marshall in True Grit , auch so ein Film der Coen-Brüder …«
    »War dieser Mann Anfang 30?« stoppte ich David.
    »Schwer zu sagen. Er trug eine Sonnenbrille.«
    »Im Kino?«
    »Hat mich auch gewundert. Kennst du den Typ?«
    »Das ist Sammy!«
    »Sammy?«
    »Martinas Yogalehrer.«
    Meine beiden Kinder – nie war diese Bezeichnung treffender als in diesem Moment, wie sie da klein und verunsichert auf dem Sofa saßen – schauten sich ratlos an.
    »Hast du mit Martina gesprochen?« fragte ich.
    »Wie denn?!« platzte es aus David heraus, den eigentlich nichts aus der Ruhe bringt. »Die hatte doch nur Augen für diesen Typen.«
    »Und dann?«
    »Im Foyer haben die beiden noch eine Bionade getrunken. Mama hat bezahlt. Dann sind sie auf die Straße, wo Sammy, ähm … also dieser Typ ein Taxi gestoppt hat. Er hat die Tür zum Fond geöffnet und Mama in den Wagen geholfen.«
    Das ist es, dachte ich, was den Unterschied macht.
    »Warum seid ihr hier?« fragte ich ruhig, obwohl ich total aufgewühlt war. Um ehrlich zu sein: Auch nach der Abfuhr in der Praxis hatte ich gehofft, dass Martina nur bluffte. Dass sie bei ihrer Mutter eingezogen war und diese Nummer mit Sammy nur erfunden hatte, um mir Angst zu machen. Doch jetzt war es amtlich. Und offenbar war es etwas Ernstes, denn warum wäre ein oberflächlicher Typ wie Sammy freiwillig in
einen Arthouse-Film gegangen? So etwas macht man nur aus Liebe, so wie Martina beschlossen hatte, diesem wandelnden Sonnengruß Kultur beizubringen. Trotzdem hatte ich den brennenden Wunsch, mich schützend vor Martina zu stellen. Mich plagte mein schlechtes Gewissen, dass ich diese ganze Scheiße angerührt hatte.
    »Warum soll eure Mutter nicht ein bisschen Spaß haben?«, verteidigte ich Martina, während ich begriff, dass die Konnotation von Mutter und Spaß schon ein Widerspruch in sich war und genau das Tabu berührte, warum diese beiden längst erwachsenen Menschen mich mitten in der Nacht aufsuchten.
    »Ich kann Martina verstehen«, korrigierte ich mich, »schließlich habe ich damit angefangen.«
    »Und wenn schon«, stieß Nina hervor, »du bist ein Mann!«
    Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte über diesen unerwarteten Freispruch. Auch wenn meine Tochter mich gerade entlastete wegen meiner Affäre mit Dorata, attestierte sie mir andererseits eine durch mein Geschlecht determinierte Primitivität: mildernde Umstände mangels Zurechnungsfähigkeit.
    »Schau mal, Schatz«, versuchte ich um Verständnis für Martina zu werben und ertappte mich dabei, dass ich in denselben Tonfall fiel wie früher, wenn ich Nina erklärte, warum man das Teeservice aus Meissner-Porzellan, das ich von meinen Großeltern geerbt hatte, nicht in die Spülmaschine stellt. »Die Mama hat mir von diesem Sammy erzählt. Sie trifft sich mit ihm, geht mit ihm ins Kino und redet mit ihm. Mehr ist da nicht. Und irgendwo muss sie ja wohnen. In der Praxis kann man außer Kaffee nichts Richtiges kochen.«
    »Mama wohnt bei dieser Schwulette?!« empörte sich David.
    »Schwulette« war ein Wort, das ich im Wortschatz meines aufgeklärten Sohnes nicht vermutet hätte. Aber was mich noch mehr wunderte, war, dass Nina – gäbe es Politessen, die Strafzettel verteilen, wenn man »Ausländer« statt »Menschen mit Migrationshintergrund« sagt, dann wäre Nina die
Einsatzleiterin – dieses Wort unkommentiert ließ und zur Bekräftigung ihrer Abscheu für Sammy heftig mit dem Kopf nickte.
    »Seid ihr beide

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