Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
gehe ich nach Hause. Wisst ihr, dass ich für unser Treffen die Tosca- Premiere in der Staatsoper habe sausen lassen?!«
»Bin gleich fertig«, beschwichtigte Andreas Ingrid. »Ich hab’s einfach satt, mich mein Leben lang von diesen Linken vorführen zu lassen.«
»Linken?« wiederholte Michael ungläubig.
»Du weißt ganz genau, was ich meine. Früher habt ihr
immer die schönsten Kommilitoninnen bekommen, weil ihr das Audimax besetzt habt, während ich gar keine Zeit für so einen Unsinn hatte. Ich musste mir mein Studium selbst finanzieren und schrieb nachts Computerprogramme. Außerdem streckte ich damals schon meine Fühler nach Firmen aus, mit denen ich nach dem Studium zusammenarbeiten konnte. Mir war immer klar, dass ich keinen auf Lehramt machen würde, aus Angst, mich ins richtige Leben zu wagen…«
Michael wollte etwas erwidern, aber Andreas war nicht zu stoppen.
»Ich leite seit meinem 24. Lebensjahr Unternehmen. Ich schaffe Arbeitsplätze und trage mit meinen Steuern nicht unwesentlich dazu bei, dass Typen wie du, Michael, hier umsonst proben können. Und wozu? Um dafür von den Linken immer nur verspottet zu werden, weil ich Tom Jones gut finde. Weil ich schon an der Uni Anzüge trug. Weil ich nicht erwarte, dass der Staat einspringt, wenn ich wegen eigener Fehler mein Unternehmen gegen die Wand fahre. Weil ich Bob Dylan für einen Zyniker halte – oder warum macht der Werbung für Apple? Weil ich für die Nachrüstung war, was sich am Ende als richtig herausgestellt hat – oder warum haben die Russen mit dem Wettrüsten aufgehört? Weil ich für Deregulierung bin. Ihr seid doch auch froh, wenn ihr für ein paar Cent aus dem Urlaub zuhause anrufen könnt. Weil ich es richtig finde, Atomkraft zu nutzen, solange wir nichts Besseres gefunden haben. Eure Windräder verschandeln die Landschaft, und der Wind bläst leider nicht immer genau dann, wenn alle morgens duschen wollen. Weil ich trotz des Lehman-Desasters dagegen bin, die Banken zu verstaatlichen. Wer hat hier denn die größten Verluste angerichtet? Das waren doch nicht die bösen Boni-Banker, sondern überforderte Landespolitiker, die im globalen Casino einen auf dicke Hose gemacht haben. Weil ich mich gefreut habe, als in Berlin die Mauer fiel, während es für euch Linke seltsamerweise kein Problem war, dass nur die armen Brüder und
Schwestern im Osten, die das Pech hatten, von den Russen befreit zu werden, für die Verbrechen der Nazis büßen mussten. Weil ich gegen den Euro bin und dagegen, dass ich jetzt nicht nur faule Landsleute, die es sich in der sozialen Hängematte gemütlich gemacht haben, unterstützen darf, sondern auch deren Kollegen in Griechenland. Weil ich finde, dass der Kapitalismus gar nicht so schlecht ist. Jedenfalls besser als alles, was ihr Linken bisher so auf die Beine gestellt habt.« Andreas atmete tief durch nach dieser lange Rede. »Ich warte dann unten.«
Andreas ging zu der Stahltür, wo ihn Michaels schulhoferprobte Stimme im Rücken traf: »Ich bin noch nicht fertig!«
Unschlüssig blieb Andreas beim Ausgang stehen, während Michael zur nächsten Gitarre in der langen Reihe schritt und deren Besonderheiten erklärte.
»Das ist eine Black Pearl . Klar, dass Metal-Gitarristen auf den Look abfahren. Aber es gibt auch noch ein paar ziemlich clevere Details. Kommt mal näher!«
Nahm das hier kein Ende? Ingrid imitierte hinter Michaels Rücken seine Art zu reden. Wir hatten die Schülerrolle angenommen. Selbst Andreas kam brav zurück, als habe er Angst, seine Versetzung zu gefährden. Wir alle beugten uns über die schwarze Gitarre, die Michael auf den Rücken drehte. »Seht ihr das?«
Wir strengten uns alle an, etwas zu sehen, damit Michael endlich weitermachte, aber wir sahen nichts.
»Der Hals! Der Hals ist nicht geschraubt, sondern geleimt. «
»Wahnsinn!« platzte es aus Ingrid heraus, während Susanne Grimassen schnitt.
»Ich soll doch was über mein Leben erzählen, oder Susanne?! «
Hatte Michael Augen im Rücken? Ich bin sicher, dass Lehrer so etwas besitzen, eine Art Seitenradar wie Fische.
»Richtig«, bestätigte Susanne, »du sollst etwas über dein Leben erzählen und nicht nur über Gitarren.«
»Diese Gitarren sind mein Leben«, erwiderte Michael ernst, ging zur nächsten Gitarre und nahm sie vorsichtig aus dem Ständer. »Bevor ich zu Titties & Beer kam, spielte ich in verschiedenen anderen Bands. Nach dem Ersten Staatsexamen gab es eine Zeit, da machte ich mir berechtigte
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