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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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Saal zum Kochen bringt, kann das auch bei zwei Dutzend Jugendlichen nicht schaden, deren Aufmerksamkeitsspanne die 160 Zeichen einer SMS umfasst – wenn überhaupt. Sollen wir was essen gehen?!«
    Wenig später saßen wir auf dem Boden des Probenraums über unseren aufgeklappten Pizza-Kartons. Auf Michaels Laptop lief ein Song von Gena. Dazu gab es Rotwein, den ich in einer Tankstelle hinter dem Bunker gekauft hatte. Weil Michael keine Weingläser hatte, denn hier wurde sonst nur Bier getrunken, tranken wir alle aus der Flasche. Aus demselben Grund gab es auch keinen Korkenzieher. Das erledigte Michael mit einem Drumstick. Als wir mit der Pizza fertig waren, begann Michael einen Joint zu bauen, zündete ihn fachmännisch an und konnte es sich nicht verkneifen, ihn zuerst Andreas anzubieten.
    »Damit du dich nicht wieder von den Linken in die Ecke gedrängt fühlst!«
    Zu unser aller Verwunderung nahm Andreas kommentarlos den Joint und zog den Rauch ein, der sehr lange in den Windungen seines massigen Körpers unterwegs war, bevor
er wieder auftauchte. Dann wanderte der Joint zu Ingrid, die ihn mit spitzen Fingern nahm, als sei er ein giftiges Insekt, das sie beißen könnte. Sie stellte sich so ungeschickt an, dass Michael sich genötigt fühlte, es ihr zu zeigen wie einem Kind, das noch nicht mit Messer und Gabel essen kann.
    Endlich zog Ingrid an dem Joint, schluckte den Rauch herunter und stieß ihn wieder hervor, während sie mit stolzem Lächeln erklärte: »Wir sind so was von Sixties!«

15
    Wir müssen unbedingt mit dir reden, Papa! Es geht um Mama. Wenn du das hier liest, ruf bitte sofort zurück, egal wie spät es ist.
     
    Ich hatte Davids SMS noch nicht ganz zu Ende gelesen, als es schon an meiner Tür Sturm klingelte.
    »Können wir reinkommen?!«
    Als hätte es das Kommunikations-Embargo wegen Dorata nie gegeben, drängten sich David und Nina an mir vorbei, ohne meine Erlaubnis abzuwarten. Was nicht weiter verwunderlich war. Auch wenn sie schon lange nicht mehr bei uns wohnten: Hier waren sie aufgewachsen, weshalb sie das immer noch als ihr Zuhause betrachteten. Auch war die späte Stunde – es war längst Mitternacht – nicht ungewöhnlich. Wenn Kinder etwas von ihren Eltern wollen, dann muss das sofort geschehen, wie früher, als Nina ihre ersten Zähne bekam und David nicht schlafen konnte, weil die Wilden Kerle auf seinem Bett saßen. Ungewöhnlich war allerdings, dass die beiden zusammen kamen. Anders als in den TV-Movies, mit denen ich mein Geld verdiene, ist die Liebe der Geschwister nicht besonders ausgeprägt, und es gibt nichts, worüber sie einer Meinung wären, außer dass sie den anderen für durchgeknallt hielten. Nun saßen sie einträchtig auf unserem Sofa und schauten sich an, wer die schlechte Nachricht überbringen sollte.
    Eigentlich ist Nina mit ihrer diplomatischen Art die Pressesprecherin der Familie, aber sie sagte nur tonlos: »Fang du an, David, dir ist es ja passiert.«
    David rieb sich das Gesicht und wirkte verunsichert, was ich an ihm gar nicht kannte.
    »Verdammt, was ist los?« hielt ich es nicht länger aus. »Was ist mit Martina?!«
    »Ich war in dem neuen Film der Coen-Brüder«, überwand sich David. »Kannst du übrigens vergessen, die zitieren sich nur noch selbst. Erinnerst du dich an die Szene in The Big Lebowski …«

    Bei aller Freude, dass ich meine Begeisterung fürs Kino vererbt hatte, konnte ich mich diesmal nicht für Davids cineastisches Detailwissen erwärmen. »Bitte David, was ist passiert?! «
    »Ich war also in dem neuen Coen-Brüder-Film … Hast du vielleicht ein Bier? Bin direkt aus dem Kino zu Nina gefahren, und dann sind wir sofort zu dir.«
    »Für mich auch!« rief Nina, als ich den Kühlschrank öffnete. Nina trank nie Bier, erst recht nicht aus der Flasche. Was war da los?
    »Also, ich war heute Abend, ähm …«
    »In dem Scheiß Coen-Brüder-Film!« half ich David auf die Sprünge.
    »Genau, ähm … und da war auch die Mama, also in dem Film. Aber, ähm … sie war nicht allein.«
    »Sondern?« Ich hoffte wider besseres Wissen, dass Martina mit einer Freundin im Kino war.
    »Mama war da mit einem, ähm … einem Mann.«
    Ich hatte David noch nie so ratlos erlebt. Er hatte kein Problem, mit einem Megafon vor Tausenden Demonstranten zu sprechen. Aber jetzt musste ich ihm jedes Wort aus der Nase ziehen.
    »Was war das für ein Mann? Vielleicht ein Kollege?« Die Hoffnung stirbt zuletzt.
    Die beiden schauten sich an wie früher, wenn sie

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