Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
wahrzunehmen.
Oft gebe ich mich beim Wüstenwandern auch lustvoll einer seltsamen Fiktion hin, die aus dem Gefühl entsteht, in einer wilden Natur – jenseits aller bürgerlichen Normen – unterwegs zu sein. Dann fühle ich mich von der Wüste »angeschaut« und herrlich berauscht. Das sind Augenblicke, in denen ich Glückseligkeit pur spüre, auch wenn ich weiß, dass in all meinen Wüstenreisen etwas Verrücktheit steckt. Sei’s drum, schließlich lebe ich nun schon seit 35 Jahren als Pendler zwischen zwei Welten: auf der einen Seite das Zuhause in Hamburg mit meiner Frau Rita und unseren beiden Söhnen, die mittlerweile erwachsen sind. Und auf der anderen Seite das Leben in der Wüste, wo ich – jedes Jahr aufs Neue – als Nomade unterwegs bin, schreibend und fotografierend, beides freiberufliche Tätigkeiten, die ich mit Begeisterung und Leidenschaft einer sicheren Existenz vorgezogen habe.
Gleichwohl war mein Leben als Pendler zwischen den Welten niemals frei von Unwägbarkeiten, Problemen, Zweifeln und auch Ängsten. In der Summe all meiner Wüstenunternehmungen haben aber die positiven Erlebnisse und Erfahrungen überwogen. Das Leben in den Einöden hat mich mit einzigartigen Erlebnissen, phantastischen Begegnungen und wunderbaren Menschen reich beschenkt. Zudem war und bin ich mir über eines ganz sicher: Das, was ich beim Unterwegssein in der Wüste suche, sucht auch mich.
Aufbruch
Wer hat nicht schon mal davon geträumt, sich freizumachen von den Konventionen unserer übertechnisierten Wohlstandswelt, sich herauszulösen aus den Zwängen des Alltags, einfach aus- und aufzubrechen, um die Welt zu erleben, wo sie noch überschaubar und faszinierend ist? Doch jeder Entschluss zum abenteuerlichen Aufbruch erfordert nicht nur Mut und Phantasie. Auch Tatkraft, Entschlossenheit und Durchsetzungsvermögen sind nötig sowie eine sorgfältige Planung, Vorbereitung und Organisation des Unterwegsseins, damit der Schritt ins Unbekannte und die Verwirklichung des eigenen Traums nicht scheitern.
Der magische Moment
Wilfried Erdmann
Man fragt eine Möwe nicht, warum sie gelegentlich zur offenen See fliegt. Sie fliegt einfach, mehr lässt sich nicht darüber sagen.
Bernard Moitessier
Ich wollte doch nur segeln. Fortsegeln. Weit fort. Immer weiter. Am besten um die ganze Erde. Hatte ich doch einmal ein erstes Segelerlebnis mit achtzehn Jahren auf einem Kahn an Indiens Malabarküste gehabt. Dort roch es betörend nach Fisch, Gewürzen und verbrannten Kokosfasern und vor allem nach salziger Luft. Ich saß am Ufer mit über 10 000 Radkilometern in den Beinen, müde und dünn wie eine Heugabel, und genoss um mich herum Sand, Riffe und die Farben Blau, Türkis, Braun. Weiter im Westen Brandung, Meer und Horizont. Irgendwo dort zu meiner Rechten, wo die Küste eine Bucht bildete und eine kleine Mole hervorstach, lag ein Boot mit Mast. Ein Segelboot. Es war ein einheimisches Boot, das einem Fischerkahn mehr ähnelte als einer Yacht.
Da ich nicht besonders schlau war, dachte ich, damit könnte ich meine Reise übers Meer fortsetzen. Eine Handvoll Dollarnoten hatte ich ja noch. Aber es waren nicht genug. Nach einem Segelausflug in der Lagune wurde mir gesagt, das Boot sei zu klein, zu schwach für das große Meer. Dennoch: Ein Segelboot erschien mir spontan traumhaft und erstrebenswert. Sport, Ferne, Exotik. Zu Inseln segeln zu können, wo Bananen wild wachsen und wo mir die Mädchen ins Cockpit schwimmen.
Astrid und ich rösten einen selbstgefangenen Fisch.
Ich war gefangen von meinen Träumereien. Die wollte ich erfüllen. Also sparte ich wie besessen für ein seefestes eigenes Segelboot – sozusagen für einen maritimen Aufbruch.
Vier Jahre, von 1961 bis 1965, hieß es arbeiten und Geld sparen und vor allem an meinem Entschluss festhalten. Also: wenn dem Aufbruch nichts mehr im Wege stand, auch den Mut aufbringen, die gesparten Mittel für eine Sache einzusetzen, von der ich keine Ahnung hatte. Bislang hatte ich weder an einer Pinne gesessen, noch konnte ich die Qualität eines Bootes beurteilen. Gesegelt hatte ich nur in meinen Träumen.
Im November 1965 sah ich in Alicante die kathena . Eine kleine, vermeintlich taugliche Segelyacht, die zum Verkauf stand. 800 englische Pfund waren der Preis. Das passte, die hatte ich zusammen. kathena war eine hochgetakelte Slup mit einer Länge von 7,62 Metern, trug 24 Quadratmeter Segelfläche und hatte als Kielschwerter nur 90 Zentimeter Tiefgang. An Technik
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