Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
Abfahrtstermine gecancelt hatte, wagte ich es an einem schönen Tag im August: Los jetzt, es geht um die Welt!
Gewiss: Es kribbelte mächtig, aber andererseits ließ ich nicht einmal ein Mädchen zurück. Ich schmierte für den ersten Seetag belegte Brote, kaufte Getränke, legte Bändsel bereit, notierte Kurse und Leuchtfeuerkennungen auf einen Spickzettel. All das war notwendig, da ich das Boot nicht sich selbst überlassen konnte. Es hatte keine Selbststeuereigenschaften. An der Pinne sitzen und Kurs halten waren meine Aufgabe.
Viel Respekt war vorhanden und viel Sehnsucht. Das Ungewisse lockte. Ängste? Nein, die kamen erst mit der Erfahrung. Noch wusste ich nicht, dass Ablegen nicht immer Ankommen bedeutet.
Navigationsprobleme machten meine Reise spannend. Das Auffinden von Atollen zum Beispiel. Die absolute Schönheit dieser nach Wochen auf See aus dem Meer steigenden Palmen-Inselchen. Erst zeigen sich die Kronen, dann die Stämme und schließlich der Sand, auf dem sie wachsen. Das ist Faszination pur im doppelten Sinne. Die Atolle überhaupt gefunden zu haben und dann dieser Anblick. Nichts an Landmarken, Felseninseln und großen Kaps kommt den Atollen gleich. Ist man einmal in der Lagune vor Anker, ist man im Schutz des Riffs und der Motus in völliger Sicherheit. Kaum vorstellbar, 200 Meter vor dem Bug tobt die See und ums Boot kräuseln sich die Wellchen auf türkisblauem Wasser. Das macht süchtig. Atollsüchtig.
Ich fühlte mich intuitiv zu Hause an Bord. Vom ersten Tag an – nachdem ich das Mittelmeer durch die Straße von Gibraltar hinter mir gelassen hatte – war ich begeisterter Alleinsegler. Dabei gab es drei Faktoren, die die Fahrt mühsam machten, aber zugleich immens wichtig waren. Ein undichtes Holzboot, alte, schlechte Segel, Sorge um meine Ortsbestimmung (das war noch die GPS-lose Zeit). Alles Dinge, die man sich heute schwer vorstellen kann, aber sie waren mein täglich Brot.
20 Monate nach dem Start in Alicante war die Weltumseglung via Tahiti und Kap der Guten Hoffnung in Hamburg zu Ende. Ich war der erste deutsche Alleinweltumsegler. Ich war glückselig. Ich riss die Arme hoch – für alle. Es war himmlisch auf der Elbe. Viele begleitende Boote, Hubschrauber in der Luft, Empfänge in den Häfen. Die kathena auf dem Wasser inmitten des Beifalls und der Begeisterung der Menschen in Cuxhaven, Glückstadt, Hamburg. Dabei kam ich unangemeldet. Keiner wusste von meiner Fahrt. Besser hätte ein Eventmanager die Organisation meiner Ankunft auch nicht hinkriegen können, als ich es bewerkstelligt habe – ohne Wissen und Erfahrung im Umgang mit Segelvereinen und Journalisten.
Erst mit der Einklarierung auf Helgoland, dem ersten deutschen Hafen, wurde die Öffentlichkeit auf mich aufmerksam.
Die eigenen Träume nicht in Frage stellen
Achill Moser
Der Reiz des Neuen, das Lockende, völlig unbekannte Gegenden durchziehen zu können, fremde Völker und Sitten, ihre Sprache und Gebräuche kennenzulernen, ein Trieb zu Abenteuern, ein Hang, Gefahren zu trotzen: Alles dies bewog mich, das Wagnis auszuführen.
Gerhard Rohlfs, Quer durch Afrika
Jedes Jahr ist es dasselbe: Ganz plötzlich ist es da, dieses Gefühl des Unwohlseins. All meine Lebensfreude kippt ins Gegenteil. Fremdheit im eigenen Körper. Zeitlupengefühl. Es ist, als wäre ich chloroformgeschwängert: Ich fühle mich zeitweise regelrecht antriebsschwach. Alles hängt mir zum Halse heraus: diese Eingeschliffenheit im Alltag, diese aufgezwungene, grenzenlose Geschäftigkeit – und vor allem das Wetter. Seit Wochen lasten draußen vor den Fenstern die bleigrauen Wolkenbänke nasskalter Tage über Hamburg. Die Temperatur klettert kaum noch über null Grad, und der eisige Wind bläst aus Nordosten. Regenschauer und Schneematsch sorgen ohne Unterlass für verdrießliche Stimmung. Und wenn zum Jahresende die ganze Stadt unter einem schmutzigen Grau liegt, sorgen Weihnachtsbasare mit Kringeln, Lebkuchen, Christbäumen und Lichterglanz für einen schwermütigen Höhepunkt meines unausgeglichenen Gefühlszustands. Festtagssentimentalität rückt mir zu Leibe, und meine Seele hängt wie eine Trauerweide. Kurzum, ich bin nun mal kein Winterland-Mensch, mag keinen Himmel wie Schiefer, mag weder Eis noch Schnee, weder Regenmäntel noch Schirme. In diesen Kaltmonaten wirken meine Bewegungen oftmals ebenso ruhelos, wie ich mich fühle. Ich komme mir vor wie ein Tiger im Käfig, bin zwar durchaus in der Lage, mein Verhalten kritisch
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