Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
aufs Mittelmeer zu segeln. Der Himmel war blau, der Wind günstig. Ich schlug das Logbuch auf, in dem ich mir eine Checkliste zum Thema Absegeln als Alleinsegler angelegt hatte, und ging sie durch (meine Position im Hafen war mit Anker und zwei Heckleinen zum Kai):
– Seekarte klar und in Reichweite
– Etwas Essen und eine Flasche Wasser vorbereiten
– Reffbändsel und Reffleinen für die See klarlegen
– Entfalte das Großsegel
– Fock auf dem Vordeck auslegen und ans Fall schäkeln
– Schoten lose auslegen und ans Segel knoten (Palstek)
– Dirk absenken
– Festmacher einholen
– Hole die Ankerkette dicht (Kurzstag)
– Setze das Großsegel (Großschot lose geben)
– Rest Kette einholen
– Fock setzen
– Großschot dicht holen, Fockschot dicht holen
– Das Schiff sollte Fahrt aufnehmen
Es segelt, es segelt! – Es segelte leider gegen die Kaimauer. Nirgendwo hatte ich gelesen, wie man ein Segelboot in Fahrt abbremst. Der Spinnakerbaum, der vorne herausragte, stoppte den Aufprall und splitterte in drei Stücke. Drei Teile jedoch bedeuten Glück, sagt der Aberglaube. Wenn ich in Alicante am Steg etwas gelernt habe, dann alles über Aberglauben. Der abergläubische Willi, mein Freund am Kai, pflegte festzustellen: »Die Armut wird ausgerottet, und damit verschwindet leider auch der Aberglaube.«
Bruch ist Bruch. Ich tröstete mich mit dem Gedanken: Das kann ja nur besser werden draußen auf See, wo mehr Platz ist. Aller Anfang ist eben schwer. Und ich hatte mich zu viel um die Theorie gekümmert und vielleicht um das Leben zwischen Hafen und Strand. Schiet wat drauf.
Ich bin dennoch aus dem Hafen gekommen – und weit weg. Unterwegs ins wirklich Freie. Um die ganze Welt.
Weltumsegler. Nicht gleich, nein, keineswegs, erst nachdem ich geübt hatte. In der Bucht von Alicante mit dem Inselchen Tabarca (sozusagen als Sparringspartner) und den nebenan liegenden Häfen Villajoyosa und Santa Pola. Segeln im Allgemeinen, Segelmanöver, Hafenmanöver, Ankern, ein Boot steuern, ein Boot rudern, terrestrische Navigation (Peilen, Kurse absetzen, Landmarken einschätzen). Sorge und mehr Gedanken als nötig machte ich mir um die Astronavigation (theoretisch). Spaß machte es mir, eine Seekarte zu lesen. Indes: Schon meine Frage »Warum sind darin Kreuzchen vor den Kaps eingezeichnet?« verwirrte manchen Sailor. Doch neben den Seekarten blieben mir ja noch meine Bücher. Ich glaubte an die Kraft der Bücher. Segeln über sieben Meere (hat mich geprägt). Navigation leicht gemacht (das komplexe Zahlenspiel war anfangs hilfreich und verwirrend zugleich). Heut’ geht es an Bord (amüsant, allerdings nicht geeignet als klassische Vorbereitung für eine Meerfahrt). Sie segelten allein (ein Buch fürs Kopfkissen. Es macht Mut).
Und mehr noch glaubte ich an die Kraft der Karten. Hier meine ich speziell die sogenannten Pilot Charts. Das sind Monatskarten, die das vorherrschende Wetter der Meere darstellen. Vor allem Wind und Strömungen sind für Segler von großem Interesse. Im Einzelnen sind darin graphisch abgebildet: Windrichtungen, Windstärken, Temperaturen (Wasser/Luft) und anderes meteorologisches Wissen für den jeweiligen Monat. Natürlich sind in den Karten Sturmquoten sowie Wirbelstürme, Schifffahrtsrouten und Eisberggefahr verzeichnet. Dann gilt es die Kalmengürtel am Äquator zu beachten. Wind und vor allem Flaute ändern sich in diesen Seegebieten ständig in ihrer Ausdehnung, weil Nordostpassat und Südostpassat aufeinandertreffen. Segelschiffe können hier wochenlang festsitzen. Das wird vielen Seglern zur Qual. Es gibt auf meinem Weltkurs zwei solcher Gürtel zu queren: einer liegt im Pazifik, der andere im Atlantik zwischen neun Grad Nord und vier Grad Süd – verändert sich mit den Jahreszeiten. Beide Zonen müssen bei einer Weltumseglung von Europa aus durchquert werden. Die Pilots waren für mich sehr nützlich an Bord der ersten kathena . Und Seekarten natürlich. Die englischen Seekarten waren meine Schätze. Sie waren von einer Papierqualität, die sogar die nasse kathena überstand. Ich staute sie hoch oben an der Decke meiner Kajüte. Mit den Karten des Karibischen Meers, der pazifischen Südsee, des Indischen Ozeans, des Kaps der Guten Hoffnung – sogenannten Überseglern – ging ich auf die Reise. Mit Detailkarten wollte ich mich unterwegs eindecken.
Den vollzogenen Aufbruch nahm ich kaum wahr. Wie in Trance legte ich in Alicante ab. Nachdem ich schon einige
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