Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
wahrzunehmen und zu bewerten, jedoch ohne die Möglichkeit, korrigierend einzugreifen. Keine einfachen Tage für meine Familie. Ich gebe mir zwar alle Mühe, »normal« zu funktionieren, doch kaum etwas kann meinen freudlosen Seelenzustand beflügeln. Gruselige Weltschmerztage, an denen alles in mir gärt. Ich giere nach Weite und emotionalen Infusionen, würde am liebsten alle Dinge, die mich tagtäglich so bedrängen, links liegen lassen, mich allen Verpflichtungen entziehen und einfach abhauen. Aber wer möchte das nicht, jedenfalls hin und wieder mal?
Sinai-Beduinen begleiten mich – auf den Spuren von Moses – durch Ägyptens biblische Wüste.
Was mir während dieser Tage hilft, ist die Aussicht auf baldige Veränderung: Und wie ein Nomade, der in ausgedörrter Weite für seine Tiere nach Weide- und Wasserstellen sucht, halte ich nach einem neuen Terrain zum Wüstenwandern Ausschau. Ich blättere in Atlanten, vertiefe mich in einzelnen Kartenblättern und stöbere in Antiquariaten nach historischen Reiseberichten, denn manchmal reizt es mich, einer alten Entdeckerroute zu folgen. Zugleich empfinde ich eine seltsame Nonchalance gegenüber dem Rest der Welt. Und während aus dem CD-Player »Ich mach’ mein Ding« erklingt, einer meiner Lieblingssongs von Udo Lindenberg, weiß ich genau, was ich brauche: einen neuen Horizont, eine neue Reise.
Meine Frau Rita hat dafür fast immer Verständnis, unterstützt und ermuntert mich sogar: »Wenn du weg willst, geh ruhig los!«, sagt sie und meint das auch so, denn seit nunmehr 30 Jahren leben wir zusammen. 30 Jahre, in denen sie meine Lust am Unterwegssein akzeptiert, dass Pendeln zwischen zwei Welten. Flapsig und schmunzelnd meint sie zuweilen: »Abstand schafft Nähe!« Vielleicht ist es genau das, was unsere Beziehung so besonders macht, neben Liebe und Respekt. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir beide Menschen sind, die dem anderen seine Träume lassen, ohne sie in Frage zu stellen.
Ist die Idee einer neuen Wüstenreise erst einmal geboren, nehmen die Dinge unaufhaltsam ihren Lauf. Eine Menge Arbeit ist zu erledigen, um eine Idee in die Realität umzusetzen. Es beginnt ein monatelanger Prozess mühevoller Kleinarbeit, der mir aber immer einen Riesenspaß macht. Allerdings gab es in der Vergangenheit auch Reisevorbereitungen, die nicht so perfekt abliefen, sondern eher einer Herkulesarbeit glichen. Da gab es Hindernisse, die kaum zu überwinden waren: unüberschaubare politische Unruhen, Korruption, Stammesfehden, widrigste Wetterbedingungen, Regierungsstellen, die mir für einige Wüstengebiete keine Genehmigung erteilen wollten, oder tödliche Krankheiten, die eine Reise in bestimmten Regionen unmöglich machten. Die Folge war, dass ich einige Traumziele über Jahre vor mir herschob.
Gleichwohl sind die Planungs- und Vorbereitungsphasen immer eine aufregende Zeit, durchdrungen von dem beglückenden Gefühl, sich in einer Idee »zu verlieren«. Es ist eine Zeit herrlichster Aktivitäten, in der es mir nicht schwerfällt, alles um mich herum auszublenden, um mich auf das bevorstehende Abenteuer zu fokussieren. Mögliche Zweifel und aufflackernde Ängste verflüchtigen sich zumeist durch intensive Recherchen. Denn: Wissen ist Überleben; und unter diesem Leitgedanken organisiere ich mein Unterwegssein mit größter Sorgfalt.
Alles, was ich an Hintergrundinformationen über die von mir ausgewählte Region in Erfahrung bringen kann, trage ich zusammen. Ich stöbere in Bibliotheken und Archiven, durchforste das Internet, studiere historische Forscherberichte und Reiseführer, prüfe und vergleiche detaillierte Landkarten, um meine Reiseroute zu bestimmen, die ich mit einem Bleistift in die gelb- oder braunfarbig gedruckten Wüstenregionen einzeichne. Schon seit Jugendjahren bereiten mir Atlanten und Karten große Freude. Einst boten sie mir einen ersten Blick in einen fernen, fremden Kosmos, der mir unerreichbar schien. Bis tief in die Nacht habe ich damals beim Licht einer Taschenlampe nicht nur abenteuerliche Reisebücher verschlungen, sondern mich auch in Landkarten vertieft, die in mir Sehnsüchte weckten, Wünsche heraufbeschworen und geheimnisvolle Welten vor meinem geistigen Auge entstehen ließen. Manchmal frage ich mich, wie viele Male ich wohl als Kind mit dem Finger auf der Landkarte durch die entlegensten Winkel Afrikas und Asiens gereist bin. Und was habe ich in jenen Tagen in meiner Phantasie nicht alles erlebt, wenn ich bis weit nach
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