Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
plante er in seinem prachtvollen Haus auf Sansibar zahllose Seeüberfälle und Plünderungen, die ihm ein unglaubliches Vermögen einbrachten. Auf diese Weise wurde er zu einem der reichsten und mächtigsten Männer in Ost- und Zentralafrika.
Ein paar Schritte weiter kam ich zur 1878 errichteten Church of Christ Cathedral. An gleicher Stelle befand sich einst der berüchtigte Sklavenmarkt, wo Menschen aus Schwarzafrika zur profitträchtigen Ware wurden. Noch im Jahre 1870 zahlte man für einen jungen Arbeitssklaven im Inneren Afrikas umgerechnet 1,50 Euro. In Sansibar stieg der Preis auf etwa 25 Euro, während die Kaufleute der Arabischen Halbinsel bis zu 50 Euro für einen Arbeitssklaven ausgaben.
Schließlich führte mich ein junger Sansibarer in das finstere Kellergewölbe der Church of Christ Cathedral. Hier wurden in niedrigen Verliesen mit nur wenigen Quadratmetern verschleppte Menschen wie wilde Tiere an Eisenketten gefangen gehalten, ehe man sie auf dem Sklavenmarkt verkaufte – zur Fronarbeit auf sansibarischen Gewürzplantagen oder nach Arabien.
Auf dem Markt, wo verschwitzte Händler lautstark ihre Waren anpriesen, traf ich anderntags Yussuf Tamimo, einen 87-jährigen Fischer, der etwas abseits auf einer Holzbank saß. Yussuf war ein hagerer Sansibarer mit wettergegerbtem Gesicht und braun-weißem Gewand, der eine bunt bestickte Gebetskappe trug. Mit leuchtenden Augen erbot er sich, mir ein paar Plätze sansibarischer Handwerkskunst zu zeigen. Natürlich für ein kleines Trinkgeld. Erwartungsvoll stimmte ich zu und war begeistert von all dem, was ich zu sehen bekam: uralte Werkstuben, wo Tischler sägten, Schuster hämmerten und die Schneider ihre ratternden Nähmaschinen in Gang hielten.
Später saßen Yussuf und ich im alten Hafen unter einem Schatten spendenden Sonnensegel zusammen, tranken Kaffee, aßen Ananasscheiben und schauten dem geschäftigen Treiben im Dhauhafen zu, wo keuchende Träger riesige Schiffsbäuche be- oder entluden, Garköchinnen frischen Fisch auf kleinen Kohlefeuern grillten, Matrosen in die hohen Masten kletterten, Planken schrubbten, durchgescheuerte Tauenden spleißten, Reepe verknoteten oder Schiffskörbe flochten. Alle im Hafen kannten Yussuf, mochten ihn und sein unwiderstehliches Lachen, bei dem der offene Mund nur noch fünf faulige Zähne zeigte. Jahrzehntelang hatte Yussuf jeden Morgen zu Allah um einen guten Fang gebetet, ehe er mit einer Dhau zum Fischen aufs Meer hinausfuhr. Seit er zu alt war, um sich auf hoher See zu behaupten, versorgten ihn jüngere Fischer, die er seit Kindesbeinen kannte und denen er immer wieder die Geschichte von einem sagenumwobenen Schatz erzählt hatte, der in einer uralten Ruinenstadt an der Ostküste Kenias versteckt liegen soll.
Auch mir berichtete Yussuf von dieser Schatzlegende: Um 1870 sollen zwölf Schiffe von Arabien in See gestochen sein, beladen mit Tuchwaren, Weihrauch und 100 Holzfässern, gefüllt mit Gold- und Silbermünzen zum Kauf von Sklaven in Ost- und Zentralafrika. Kurs: Sansibar. Vor Kenias Küste geriet die Dhauflotte in schweren Sturm und zerschellte an Riffen und Brandungsfelsen. Nur zwei Schiffe entkamen der Katastrophe, auf ihnen befanden sich die wertvollen Fässer, die nun zu einer geheimnisumwitterten Stadt namens Gedi an der ostafrikanischen Küste gebracht wurden. Anschließend segelten die Überlebenden des Schiffbruchs mit ihren Dhaus weiter nach Sansibar. Ihr Plan war es, die versteckten Fässer zu einem späteren Zeitpunkt auszugraben, um die Münzen unter sich aufzuteilen. Doch auf Sansibar angekommen, wurden sie auf Befehl von Tippu-Tip hingerichtet, sodass die kostbaren Fässer bis heute unentdeckt blieben und noch immer tief vergraben in der Stadt Gedi liegen sollen, die wohl in vorchristlicher Zeit durch Bantu-Völker gegründet wurde. Später, im Jahr 1100, landeten arabische Händler mit ihren Dhaus an der kenianischen Küste und bauten die Handelsniederlassung zu einer prachtvollen Stadt aus, die zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert intensive Handelsverbindungen mit Venedig, Persien, Indien und China unterhielt. So war Gedi nicht nur reich an Gewürzen und wertvollen Hölzern, sondern auch an Gold, Edelsteinen und Elfenbein.
Kaum vorstellbar ist auch die Tatsache, dass die Portugiesen im 16. Jahrhundert in ihrem Stützpunkt Malindi keinerlei Kenntnisse von der Existenz Gedis hatten. Dabei trennte sie nur fünfzehn Kilometer dichtester Urwald von der arabischen Festungsstadt, die durch
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