Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
den Papierkram, die Einkäufe und organisierte die Partys mit Land- und Yachtleuten. Wir waren 25 und 29 und sehr beweglich.
Mit Astrid in den Tropen war der Tag auf See nur die halbe Anstrengung. Man war gerne draußen, brauchte wenig Kleidung. Und beinahe täglich schien die Sonne. Sie hatte zudem Gespür im Umgang mit Segel, Schoten und Pinne, konnte das Boot spielend am Laufen halten.
Selten waren wir verschiedener Meinung. Keiner wollte, zumindest am Anfang, seine Sicht der Dinge durchsetzen. Ich glaubte, dass unser Team als Langstreckensegler überhaupt nur funktionieren würde, wenn der eine bereit war, den Weg des anderen mitzugehen. Nicht immer, aber in bestimmten Situationen. Verliebt, wie wir waren, fühlte sich keiner vom anderen überfordert oder untergebuttert.
Wie sieht dagegen das Alleinsein auf See aus?
Zum einen völlig konträr. Da ist niemand zum Erzählen, zum Austausch von Gedanken. Da ist niemand, mit dem man die Arbeit und andere Aufgaben teilt, niemand, mit dem man sich gemeinsam an Erlebnissen erfreuen kann. Den Anblick, wie die Segeltücher das Boot mit aller Kraft durchs Wasser ziehen, genießt man – logisch – allein. Da ist vor allem keiner, der tröstet oder kuschelt, wenn es an Deck rumst oder nicht so läuft wie gewünscht. Das ist ein ganz entscheidender Unterschied.
Zum anderen gestaltete sich der Ablauf eines Tages auf See nicht viel anders als zu zweit oder gar im Landleben. Tagsüber war die Zeit für Versorgung, Sauberkeit, Ordnung, Unterhaltung (beispielsweise lesen, Musik hören, Fotos machen oder Selbstgespräche führen). Die Nacht war vorzugsweise zum Schlafen da, allerdings nie ohne Unterbrechung. Denn auch nachts musste am Kurs gearbeitet werden. Und da das Wetter bei Dunkelheit oft veränderlicher war, spielten sich mehr Segelmanöver ab, was gleichzeitig ein weniger an Schlaf bedeutete. Nun, schlafen auf dem Meer geht ohnehin nicht, wenn man müde ist oder gerade Lust hat.
Die Nächte waren meist unterbrochen von Windänderungen, innerer Unruhe und harschen Bewegungen des Schiffes. In Regionen mit starkem Schiffsverkehr musste ich ernsthaft Wache gehen. Zwar nicht ununterbrochen, denn natürlich forderte mein Körper seinen Schlaf. Eher in folgendem Rhythmus: zehn Minuten Schlaf, Rundumblick, zehn Minuten Schlaf, Rundumblick. Bei einer Kollision mit einem Dampfer wäre ich nämlich nur zweiter Sieger gewesen. War ich weit entfernt von den Schifffahrtsrouten, schlief ich recht unbekümmert. Bei Sturm wiederum fand ich kaum Schlaf, allenfalls Dösen war möglich.
Mein Tag begann zwischen Nacht und Morgengrauen. Beim ersten Lichtschimmer gegen fünf Uhr stand ich auf. Segelte ich in den hohen Breitengraden im südlichen Sommer, geschah das noch früher. Als Erstes stürzte ich zur Luke, klappte sie auf und schaute auf den Kompass und zugleich in die Segel. War mein Boot auf Kurs? Das war die entscheidende Frage. Wenn der Kurs stimmte, konnte ich kräftig durchatmen. Andernfalls wurde das Schiff sofort auf Linie gebracht. Keine Minute länger wollte ich in die falsche Richtung segeln. Erst dann stieg ich in Ölzeug und Gummistiefel und legte den Sicherheitsgurt an. Wieder an Deck, beobachtete ich das Wetter, den Seegang, die Segelstellung. Das dauerte eine Weile, und wenn nötig wurden die Segel entsprechend verändert. Beispielsweise mehr Tuch gesetzt oder entgegengesetzt Segel gerefft. Anschließend stieg ich wieder in die Kajüte, baute meine Koje, betete und schielte Richtung Logbuch: Eintragungen über die Ereignisse der Nacht waren immer morgens fällig. Anschließend machte ich Liegestütze und Dehnübungen. Körperwäsche mit Seewasser und Toilette folgten. Frisch und warm angezogen, meldete sich endgültig mein Magen. Dann brachte ich den Petroleumkocher auf Druck und Flamme und setzte Wasser auf. Das Frühstück war schnell zubereitet und fast immer gleich: Porridge oder Grieß, dazu Knäckebrot mit Honig oder Marmelade. Zum Trinken abwechselnd Tee oder Kaffee. Wenn ich abgewaschen hatte, streckte ich mich noch mal für kurze Zeit auf der Koje aus und überlegte, was primär noch zu tun war. Hatte ich zu viel Segel gesetzt oder zu wenig? Gegebenenfalls optimierte ich die Segelstellungen und erledigte handwerkliche Tätigkeiten – Reparaturen zum Beispiel. Stöberte mit Enthusiasmus in den Karten der nächsten Seegebiete und informierte mich anhand der englischen Pilot Charts über die zu erwartenden Winde der kommenden Tage und las in einem Buch. War
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