Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
Lastensegler zu kommen, die noch heute Gewürze, Tee, Datteln, Mangrovenstämme oder Trockenfisch über den Indischen Ozean transportieren.
Das Wort Dhau ist übrigens ein Suaheli-Wort unbestimmter Herkunft und wird noch heute als Sammelbegriff für jene hölzernen Segelschiffe verwendet, die seit mehr als tausend Jahren die afrikanisch-arabischen Gewässer befahren. Mögen sie sich auch in Typ und Größe unterscheiden, so verfügen doch alle über ein charakteristisches Merkmal: das große Trapezsegel. Auf hoher See, im gleißenden Licht der Sonne, wirken die riesigen Segeltücher seit jeher wie blitzende Krummschwerter. Sie werden an den Masten von langen Rahen (Querstangen) gehalten, die aus mehreren Spieren (Rundhölzern) zusammengesetzt sind. Überdies besitzt eine Dhau einen bauchigen Rumpf, einen kurzen Kiel und ein kantiges Heck. Der hohe Schrägmast, der zum spitzen Bug geneigt ist, muss sehr stabil gebaut sein, um beim Eintauchen in die stürmische See nicht unter dem immensen Wellendruck zu bersten. Zudem verfügen mittlerweile fast alle Dhaus über einen Dieselmotor.
Anfang Mai, nach Beginn des Süd-West-Monsuns, stach ich mit einem nostalgischen Dhau-Segler in See. Von Madagaskar nach Sansibar. Eine Strecke von rund 800 Seemeilen. Mein »Fahrgeld« betrug umgerechnet 500 D-Mark.
Es war ein tolles Gefühl, als die große Dhau den Hafen von Mahajanga verließ, als das weiße Dreiecksegel sich entfaltete und prall füllte. Wie ein großer Seevogel glitt die Dhau unter dem Befehl von Kapitän Ahmed Salelahs durch einen schäumenden Wellenteppich dahin, angetrieben von stetigen Winden. Ich hockte auf dem erhöhten Kajütdach, sog die frische Brise tief in mich ein und lauschte dem Rauschen der Bugwelle, dem Ächzen der baumdicken Masten und dem Singen des Windes in der Takelage. Wahnsinn, dachte ich, einfach Wahnsinn! Ich hatte den Eindruck, als wäre seit den Abenteuern von Sindbad dem Seefahrer kein Tag vergangen, als wären die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht noch immer lebendig. Anlass dafür bot vor allem die zusammengewürfelte Crew unterschiedlicher Couleur: muskulöse Gestalten, meist lebhaft und vergnügt, die Lendentücher, Shorts und Turbane trugen und deren verwegenes Aussehen mich in jene berühmt-berüchtigte Zeit versetzte, als das trapezartige Dhau-Segel im Indischen Ozean noch ein Zeichen des Schreckens war, weil es von Seeräubern und Sklavenhändlern benutzt wurde.
Piraten muss man auch heute noch in den afrikanisch-arabischen Gewässern fürchten. Oft sind sie mit modernsten Waffen ausgerüstet und kapern mit Vorliebe große Containerschiffe, um von den Schiffseignern hohe Lösegelder zu erpressen. Wir dagegen hatten am vierten Segeltag sehr viel mehr mit den Unbilden der Natur zu tun. Eine Wolkenfront rückte näher, und der Wind zog an, fegte bald mit Sturmstärke über das Meer. In der Luft war ein ungeheures Tosen und Heulen. Die Wellenkämme wurden höher und die Wellentäler tiefer. In aufgepeitschten Wassermassen hob und senkte sich die Dhau in weißer Gischt. Es war, als würde jemand das Schiff hochheben und aufs Wasser zurückfallen lassen.
Unaufhörlich attackierten schwere Böen den Lastensegler mit heftigen Stößen, die die schlingernde Dhau bedrohlich weit auf die Seite legten. Hochschwappende Wogen und überbrechende Seen mit grellweißen Schaumkämmen schossen durch die Speigatten, überspülten das Schiff und durchnässten uns ebenso wie die sintflutartigen Regengüsse. Die Crew zog an Seilen und Leinen, Tampen und Schoten. Alle Männer waren in Bewegung und brüllten dabei ihre Arbeitsgesänge dem Sturm entgegen. Es war ein aufregendes, aber auch beängstigendes Gefühl, sodass ich mich mit einer Leine sicherte, um nicht über Bord zu gehen. Am eigenen Leibe durchlebte ich das ganze Ausmaß der Strapazen, das die arabischen Seefahrer auf ihren hölzernen Dhaus von alters her durchstehen müssen.
Die ganze Nacht stampfte und rollte das große Holzschiff mit voller Maschinenkraft durch die aufgewühlte, furchteinflößende See. Keine einfache Fahrt, eher herzschlagtreibend und adrenalinjagend. Ich erlebte etwas, das nicht zur Gänze beschrieben werden kann, weil das Meer ein Element des Geheimnisvollen ist. Ein Element, das uns Menschen den Grenzbereich finden lässt, wo Außenwelt und Innenwelt kompromisslos aufeinandertreffen.
Stunde um Stunde wogte das Meer, brauste der Sturm. Erst im heller werdenden Tageslicht, das die Nacht vertrieb, endete der wilde
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